Kommentar: Interessant, dass nicht die etablierten muslimischen Verbände zur Stellungnahme gebeten wurden, sondern der IZRS.
Von unserer Seite wird zu folgender Aussage der Freiburger Sozialdirektorin Marie-Thérèse MARADAN (SP)
Zitat"Im Islam gebe es keinen Zwang, ein Kopftuch zu tragen"
korrigierend festgestellt:
Zitat von M.M.HanelEs gibt im Islam die theologisch begründete PFLICHT zum Tragen des "Kopftuchs". NICHT gibt es die Erlaubnis, diese Pflicht den Musliminnen AUFZUZWINGEN. Schon gar nicht darf es DIESEN Zwang in der SCHWEIZ geben! Sollte es dann den ZWANG in der Schweiz geben, die Damen zu ZWINGEN, das Kopftuch, gegen ihre religiös verstandene PFLICHT abzulegen?
Wurde SP nun zu S(V)P?
Einer Kürzung der Sozialabgaben kann daher für Kopftuch tragende Musliminnen keinesfalls zugestimmt werden. Die Nichtintegration in den Arbeitsmarkt darf daher bei entsprechenden Bemühungen der Musliminnen diesen nicht zum Nachteil gereichen. Dem Staat kommt es deshalb durchaus zu, auf diesem Gebiet verstärkte Integrationsmaßnahmen umzusetzen.
Das Tragen einer Burqa oder eines Niqab kann in der Schweiz allerdings nicht unter die unbedingt zu berücksichtigende freie Ausübung des Kultus fallen, da eine entsprechende PFLICHT nicht im islamischen Kultus verankert ist, sondern das Tragen dieser Kleidungsstücke aus der Beibehaltung oder Übernahme nationaler Traditionen oder subjektiven, wenn auch religiös begründeten Vorlieben geschieht. Eventuell daraus entstehende Nachteile am Arbeitsmarkt könnten daher rechtlich begründet wahrscheinlich auch zu einem gewissen Teil den jeweiligen Trägerinnen angelastet werden.
Eine Zustimmung für ein "BURQA-VERBOT" ist daraus dennoch nicht abzuleiten, sondern bleibt ein abzulehnender Eingriff in die Autonomie des Individuums nach Selbstbestimmung in der Kleidungswahl. Eine eventuell auf diese Kleidungsstücke übertragene "Symbolik" ist eine rein subjektive und sollte daher nicht zwingend berücksichtigt werden dürfen.
Die Tessinerinnen und Tessiner stimmen am kommenden Sonntag über die Einführung eines Verbots des islamischen Gesichtsschleiers ab. Heute Morgen nahm der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) im Rahmen einer Pressekonferenz Stellung und kündigte eine Push-Kampagne an.
Kommuniqué 18092013-0076
Die «European Muslim League» (EML) und der «Islamische Zentralrat Schweiz» (IZRS) haben heute Morgen in einer gemeinsamen Pressekonferenz Stellung genommen zur kantonalen Abstimmungsvorlage zur Erwirkung eines Verbots des islamischen Gesichtsschleiers im Tessin.
IZRS Präsident Nicoals Blancho warnte in seiner Ansprache vor einer weiteren diskriminierenden Sondergesetzgebung gegen Muslime und reihte die Vorlage in eine Serie islamophober Versuche ein, Muslimen das Leben in der Schweiz zu erschweren. Namentlich wies er auf das Minarett-Verbot und die Diskussion um Kopftuch-Verbote in öffentlichen Schulen hin und fragte, welchen Nutzen solche Verbote der Gesellschaft denn brächten. (Dispositiv der Rede liegt bei. Es gilt das gesprochene Wort.)
Der Italiener Dr. Alfredo Maiolese, Präsident der «European Muslim League» (EML) warnte, dass die Tessiner der Schweiz mit einer möglichen Annahme der Anti-Niqab-Initiative international keinen Dienst erweisen, vielmehr das Image unseres Landes als fremdenfeindlich und islamophob - besonders im Nachgang an die Minarett-Abstimmung - noch weiter festigen würden. Ein Verbot wäre ein Gefängnis für die Betroffenen
Nora Illi erzählte, was es für sie und ihre Kinder hiesse, im Tessin keine Sommerferien mehr verbringen zu können, was sie seit ihrer Kindheit regelmässig tat. Für sie ist ein Verbot unvereinbar mit der Schweizer Bundesverfassung, die religiösen Menschen das Recht einräumt, ihre Religiosität frei und ungehindert zu leben. Eine Einschränkung jener sei in diesem Fall mit rationalen Argumenten nicht zu begründen. Sie stellt die Behauptung, wonach Frauen mit Kleidervorschriften geschützt werden sollen als kontraproduktiv in Frage und stellt jener die Überzeugung entgegen, dass damit Frauen vielmehr eine Beschränkung erfahren. So habe sie sich selbst für die ?normative Option" des Gesichtsschleiers entschieden und jede Einschränkung dieser freien Entscheidung sei für die eine Form der Unterdrückung und Einengung ihrer Grundrechte. (Dispositiv der Rede liegt bei. Es gilt das gesprochene Wort.)
Verbot kaum umsetzbar
Abdel Azziz Qaasim Illi warf die Frage auf, ob die Initiative überhaupt umsetzbar sein werde. Einerseits könne man sich kaum vorstellen, wie lokale Polizeinheiten mit einer muslimischen Touristin umgehen würden, die ohne jedes Wissen um ein solches Verbot in den Kanton Tessin einreise. Noch fragwürdiger sei, wie denn damit umgegangen würde, sollte sich eine muslimische Frau mit gewöhnlichem Kopftuch, eine Staubschutz- oder Hygienemaske aufsetzen. Würde dies dann als ?Gesichtsschleier" interpretiert, weil sie ja bereits ein Kopftuch trägt, wohingegen eine nicht-muslimische Frau ohne Kopftuch eine solche Maske tragen dürfte?
Auch rechtlich gebe es mehr offene als beantwortete Fragen. Wie kann ein Kanton ein übergeordnetes verfassungsmässiges Freiheitsrecht ohne zwingenden Grund einschränken? Illi wies auf die zweimalige Abweisung eines solchen Vorstosses durch den Ständerat im 2011 und 2012 hin. Die zuständige staatspolitische Kommission kam damals zum Schluss, dass es in der Schweiz keinen Bedarf für ein solches Gesetz gebe. (Dispositiv der Rede liegt bei. Es gilt das gesprochene Wort.)
Push-Kampagne für ein Nein am Sonntag
Stv. Generalsekretärin Ferah Ulucay kündigte eine intensive Last-Minute Push-Kampagne an. Ziel ist es jene Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die noch unentschieden seien bzw. gar nicht zur Urne gehen wollten, davon zu überzeugen, dass die Initiative den versprochenen Nutzen nicht erbringen kann und allenfalls zu einer weiteren Diskriminierung der muslimischen Minderheit führe. Ein Team von 25 Personen wird ab sofort bis am Samstagabend in allen Tessiner Städten Flyer verteilen und mit Passanten das Gespräch suchen. (Vgl. Flyer im PDF).
Stellte die schweizerische Antiminarettinitiative schon ein beinahe unerträgliches Maß der kollektiven Diskriminierung der muslimischen Gemeinschaft dar ? indem sie, gegen die grundsätzlich garantierte freie Ausübung der Religion, zum Bauverbot eines unpersönlichen architektonischen Ausdruck gelebten Glaubens führte ? überschreitet nun die ?Antibur-kainitiative? jegliche Form des Akzeptablen. Richtet diese sich doch nun gegen die persönliche, gelebte Glaubensfrei-heit einzelner Individuen. Man mag zur Gesichtsverschleierung muslimischer Frauen, die ohnehin nur von einer völlig unerheblichen Personenzahl praktiziert wird, persönlich stehen wie man will ? solange sie eine freiwillig geübte, religiöse Praxis darstellt, bleibt sie eine Privatsache, die von anderen unangetastet zu respektieren ist. Dass behördliche Erforderlichkeiten die Ausnahme darstellen, welche diese Regel zu durchbrechen befugt sind, ist eine Selbstverständlichkeit.
Praktizierende Muslime in der Schweiz sind objektiv landes-weit als vorbildliche Gemeinschaften zu sehen, welche der Schweizer Bürgerschaft keinerlei Anlass zu Besorgnis, Furcht oder gar Feindschaft geben, sondern im Gegenteil alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um sich im Berufs? und Alltagsleben nach ihren Möglichkeiten aktiv und kooperativ zu engagieren und einzubringen. Darüber hinaus haben die Muslime bislang auf die schwelende, ständig gegen sie gerichtete Feindseligkeit immer mit bemerkenswerter Gelassenheit und Besonnenheit reagiert. Die wachsende Bereit¬schaft bestimmter Teile der Schweizer Bevölkerung und gewisser politischer Kreise zur Diskriminierung gegenüber ihren Gemeinschaften nehmen sie allerdings mit steigendem Befremden und erheblicher Besorgnis zur Kenntnis.
Erlaubt sei noch nachzufragen, ob denn die Freiheit der Frau, wie dies hierzulande verstanden werden möchte, wohl darin liegt, dass gesellschaftlicher Druck bestimmt, wie sie sich zu kleiden bzw. zu entkleiden hat oder etwa vielmehr darin, dass die Gesellschaft diese Entscheidung im Rahmen akzeptierter Sittlichkeit der Frau überlässt und respektiert? Gesetze, welche tatsächlich für die Rechte der Frauen ste-hen, sollten diese nicht das Recht der Frau auf Selbstbe-stimmung schützen und jene sanktionieren, die mündigen Frauen dieses Recht der Selbstbestimmung verweigern? Oder liegt etwa das, über Volksinitiativen beförderte öffent-liche Interesse darin, dieses Grundrecht der Selbstbestim-mung der Frau gesetzlich zu beschneiden? Und last but not least ? braucht die Schweiz tatsächlich einen Rückfall in dunkle Zeiten gesellschaftlicher Bevormun-dung der Frau ? mit der geradezu zynisch anmutenden Begründung die Frauen zu befreien - indem sie staatlich verordnet entkleidet werden soll?
Wir bringen daher unsere große Hoffnung und Erwartung zum Ausdruck, dass die Schweizer Wähler bei dieser Ab-stimmung objektive Sachverhalte, modernes, westliches Rechtsverständnis und allgemeine, christlich geprägte Menschlichkeit gebührend berücksichtigen und dieser, in jeder Beziehung unwürdigen Abstimmung die klar erforderliche Absage erteilen.
ZUR TESSINER ABSTIMMUNG
Unbenommen der Tatsache, dass es das gute Recht der Tessiner ist ? besonders in Hinblick auf gewaltvolle Strassendemonstrationen (von welchen nicht bekannt ist, dass Muslime daran teilnehmen), solch ein Verhüllungsverbot zur Abstimmung zu unterbreiten ? gehen Muslime und neutrale Beobachter durchaus davon aus, dass sich diese Abstimmung primär gegen den muslimischen Gesichtsschleier richtet und wir hier tatsächlich von einer ?Burkaverbotsinitiative?, wie dies landläufig ausgedrückt wird, zu sprechen haben. Tatsache ist allerdings, dass die Burka in der Schweiz gar nicht getragen wird und der, vor allem bei einigen Touristen aus dem arabischen Raum übliche Gesichtsschleier (Niqab) in statistisch völlig unbedeutender Häufigkeit in der Schweiz zu beobachten ist.
Daher ist der Ansatz, ?dass eine solche Volksabstimmung eine Mauer aus gegenseitigem Misstrauen wachsen lässt? wohl begründet und nicht von der Hand zu weisen und stellt eine weitere, bedauernswerte integrationsbehindernde Maßnahme dar, die sich nahtlos an die Minarettbauverbots-initiative, die Kopftuchverbotsinitiativen, die Ablehnung muslimischer Gräberfelder, etc. anfügt und deshalb von Muslimen nicht unterstützt werden kann. Dies umso mehr, weil bei einer Annahme der Tessiner Abstimmung von einer Vorbildwirkung für weitere Kantone in der Schweiz ausge-gangen werden muss. Ja selbst eine Ablehnung der Tessiner wird bestimmte populistische Parteien anderer Kantone erst recht dazu motivieren, in ihren Kantonen ähnliche Abstim-mungen durchführen zu wollen und durch entsprechende mediale, den Religionsfrieden störende Maßnahmen eine Befürwortung herbeizuführen.
Zusatz: Besonders bedenklich erscheint mir im Zusammenhang, dass, der Religion ganz allgemein positiv zugewandte Kräfte in der Schweiz offenbar übersehen, dass dieses ständige, populistische diskriminierende Agitieren gegen Islam und Muslime letztlich einem Laizismus Tür und Tor öffnen, dessen Ideologie dem freiheitlichen Denken und der Vielfalt unseres Landes entgegengesetzt und abträglich ist.