Interview mit HASSAN at-TURABI geführt von GSIW MItglied S.A.M.
In welchem Land kann man das Haus eines Oppositionspolitikers durch die offene Tür betreten, ohne Voranmeldung? Um nach wenigem Insistieren bei den Dienstboten von der Tochter des Hauses empfangen zu werden, mit ihr zu plaudern und einige Tage danach bereits zum Gespräch mit dem Politiker gerufen zu werden? Im Sudan ist dies möglich.
Die Tochter Herrn Turabis, S. hat mich schon im Vorfeld beruhigt bezüglich meiner Bedenken, die richtigen Fragen zu stellen: ?don?t worry, HE will talk!? Hassan at Turabi hat eine Botschaft. Eine, die gleich bei der Begrüssung in den Vordergrund tritt und sich wie der rote Faden durch das Gespräch zieht. Es ist nicht leicht, Doktor Turabis Redefluss in eine andere Richtung zu lenken, das Thema, zu dem er immer wieder zurückkommt, ist für ihn von grosser Bedeutung: die Gleichberechtigung der Frauen, ihre Gleichstellung in allen denkbaren gesellschaftlichen, politischen, auch religiösen Angelegenheiten. Frauen sollen, ja müssen, als komplementärer Teil zur männlichen Welt an allen Belangen aktiv beteiligt sein. Schon Adam und Eva waren ursprünglich aus einem Wesen geschaffen, wurden getrennt und dazu bestimmt, sich immer wieder aufs Neue in jedem Lebensbereich zu finden und zu ergänzen. Dr. Turabi befürwortet daher nicht nur das Einbringen der Frau auf intellektueller Ebene, sie soll auch in der Praxis dem Manne durchaus gleichgestellt sein, gar an Kriegshandlungen teilnehmen und ? ein für einen Muslim sehr ungewöhnlicher Standpunkt ? auch als Vorbeterin fungieren dürfen.
Was soll man als Muslim dem Verfall allgemein menschlicher und speziell islamischer Wertvorstellungen entgegenhalten?
Islam sei ganz allgemein vor allem ?behaviour? ? Verhaltensweise. Mit unserem Verhalten als Muslime formen wir unsere Gemeinschaft und geben vor allem auch nach aussen ein ? gutes oder schlechtes - Beispiel ab. Wenn Muslime eine rigide, kleinkarierte Haltung an den Tag legten, die Frauen schlecht behandeln, gar terroristische Anschläge befürworten und begehen, auf politischer Ebene gemeinsame Sache mit den Reichen machen, um Armut zu kreieren, ihre Völker unterdrückten und ausbeuteten, dann würde man berechtigterweise mit dem Finger auf uns zeigen und sich weit von den Muslimen zu distanzieren suchen. Wir sollen, in Gegenüberstellung zum christlichen Glauben die einfache Logik des Islam, die Einheit des Göttlichen und den Zusammenlauf aller Dinge in solcher Einheit hervorheben; ausserdem das Fehlen der Schuldfrage (Adam wurde verziehen und auch uns wird, so Gott will, jeweils verziehen, niemand ?haftet? für jemand anderen). Nicht zuletzt müssen wir in unserem Verhalten ganz allgemein vorbildlich sein, sollen einen feinen Umgang miteinander pflegen, die im Islam enthaltenen besten Umgangsformen zur Geltung bringen. Er selbst, Dr. Turabi, kenne einen ?Engländer? namens Abdel Qadir, der vor Jahren in Marokko in einer Sufi ? Tariqa den Islam kennengelernt hat und so Muslim geworden sei. Beeindruckt von der Lauterkeit und dem eindrücklichen Verhalten dieser Menschen sowie von der Erscheinung des Scheikhs der Tariqa, der in einfachsten Verhältnissen lebte, nahm er selbst den Islam an. Dieser Mann ist Sheikh Abd el Qadir as Sufi al Murabit.
Inwieweit beeinflusst das gängige Finanzsystem, das auf Riba (Zinsnahme, Spekulation, etc.) aufbaut, die Lage der Menschheit?
Natürlich auf bedeutende, einschneidende Weise! Die Gier, die Verantwortungslosigkeit im Umgang mit unserem Vermögen, das ?Gambling? an der Börse, die ungerechte Verteilung der Gelder und die auch die mangelnde Haftung der Hauptakteure richten immensen Schaden an. Zins (- Wucher) sei allen monotheistischen Buchreligionen verboten. Im Christentum durch Calvin ?legalisiert?, der es für nötig befunden hätte, mit den jüdischen Geldverleihern ?Schritt zu halten?, fand er dennoch Einzug auch in die christliche Welt. Er selbst, Hassan at Turabi unterstütze an verschiedenen Standorten in der ganzen Welt Banken, die auf islamischer Basis arbeiten wollen. Nicht alle diese Banken seien allerdings ?sauber?, im gängigen ?islamic banking? werde viel betrogen und hinters Licht geführt. Es sei nötig, überall auf der Welt Institutionen zu etablieren, die auf islamischer Basis arbeiten und untereinander kooperierten. Dr. Hasan at Turabi kennt auch das Projekt des Golddinars und Silberdirhams, das vor allem in Malaysia, Kelantan, umgesetzt wird.
Zu guter Letzt holt Dr. Turabi noch ein Büchlein, das er mir auf den Weg mitgibt: ?Emancipation of Women ? an Islamic Perspective? ?. Kleine Anektote am Rande noch zum Abschluss: bei einem Gefängnisaufenthalt hatte der Politiker nur ein einziges Buch bei sich: ein arabisches - deutsches Wörterbuch, welches er von vorne bis hinten und retour durchackerte. Allerdings hätte dies nicht ganz ausgereicht, um unsere Konversation (von Englisch) auf Deutsch umzustellen. Ein Foto wird mir gewährt, auch die Erlaubnis, über unsere Begegnung zu schreiben erteilt mir der grosszügige Mann ohne weiteres?
Ich danke sehr für die Gastfreundschaft des Hauses ? und es war mir eine Freude und Ehre, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen, Herr Turabi!
Hasan at-Turabi, geboren 1932 in Kassala, Sudan war ein sudanesischer Politiker und Oppositionsführer. Seit 1977 in der Regierung des Landes aktiv gilt er allgemein als einer der brillantesten sudanesischen Politiker und ist dennoch nicht unumstritten.
Als Doktor der Rechtswissenschaften mit Abschluss an der Pariser Sorbonne gehört er zudem zu den herausragenden Intellektuellen des Landes. Seine politischen wie auch religiösen Überzeugungen und Vorstellungen gründen dementsprechend auf hohem Niveau, sind jedoch nicht immer vereinbar mit der Linie der amtierenden politischen Führung sowie auch der religiösen Gelehrtenschaft. Dr al Turabi hat aufgrund dessen einige Gefängnisaufenthalte hinter sich - was ihn - sympatischerweise - dennoch nicht in seiner Offenheit für jeglichen Austausch und in seinem Willen zum Mitmischen auf politischer Ebene beeinträchtigt hat.
Dr. Turabi ist am 05.03.2016 einem Herzinfarkt erlegen. Möge er in Frieden ruhen.
Interview mit HASSAN at-TURABI geführt von GSIW MItglied S.A.M.
In welchem Land kann man das Haus eines Oppositionspolitikers durch die offene Tür betreten, ohne Voranmeldung? Um nach wenigem Insistieren bei den Dienstboten von der Tochter des Hauses empfangen zu werden, mit ihr zu plaudern und einige Tage danach bereits zum Gespräch mit dem Politiker gerufen zu werden? Im Sudan ist dies möglich.
Die Tochter Herrn Turabis, S. hat mich schon im Vorfeld beruhigt bezüglich meiner Bedenken, die richtigen Fragen zu stellen: ?don?t worry, HE will talk!? Hassan at Turabi hat eine Botschaft. Eine, die gleich bei der Begrüssung in den Vordergrund tritt und sich wie der rote Faden durch das Gespräch zieht. Es ist nicht leicht, Doktor Turabis Redefluss in eine andere Richtung zu lenken, das Thema, zu dem er immer wieder zurückkommt, ist für ihn von grosser Bedeutung: die Gleichberechtigung der Frauen, ihre Gleichstellung in allen denkbaren gesellschaftlichen, politischen, auch religiösen Angelegenheiten. Frauen sollen, ja müssen, als komplementärer Teil zur männlichen Welt an allen Belangen aktiv beteiligt sein. Schon Adam und Eva waren ursprünglich aus einem Wesen geschaffen, wurden getrennt und dazu bestimmt, sich immer wieder aufs Neue in jedem Lebensbereich zu finden und zu ergänzen. Dr. Turabi befürwortet daher nicht nur das Einbringen der Frau auf intellektueller Ebene, sie soll auch in der Praxis dem Manne durchaus gleichgestellt sein, gar an Kriegshandlungen teilnehmen und ? ein für einen Muslim sehr ungewöhnlicher Standpunkt ? auch als Vorbeterin fungieren dürfen.
Was soll man als Muslim dem Verfall allgemein menschlicher und speziell islamischer Wertvorstellungen entgegenhalten?
Islam sei ganz allgemein vor allem ?behaviour? ? Verhaltensweise. Mit unserem Verhalten als Muslime formen wir unsere Gemeinschaft und geben vor allem auch nach aussen ein ? gutes oder schlechtes - Beispiel ab. Wenn Muslime eine rigide, kleinkarierte Haltung an den Tag legten, die Frauen schlecht behandeln, gar terroristische Anschläge befürworten und begehen, auf politischer Ebene gemeinsame Sache mit den Reichen machen, um Armut zu kreieren, ihre Völker unterdrückten und ausbeuteten, dann würde man berechtigterweise mit dem Finger auf uns zeigen und sich weit von den Muslimen zu distanzieren suchen. Wir sollen, in Gegenüberstellung zum christlichen Glauben die einfache Logik des Islam, die Einheit des Göttlichen und den Zusammenlauf aller Dinge in solcher Einheit hervorheben; ausserdem das Fehlen der Schuldfrage (Adam wurde verziehen und auch uns wird, so Gott will, jeweils verziehen, niemand ?haftet? für jemand anderen). Nicht zuletzt müssen wir in unserem Verhalten ganz allgemein vorbildlich sein, sollen einen feinen Umgang miteinander pflegen, die im Islam enthaltenen besten Umgangsformen zur Geltung bringen. Er selbst, Dr. Turabi, kenne einen Schotten namens Abdel Qadir, der vor Jahren in Marokko in einer Sufi ? Tariqa den Islam kennengelernt hat und so Muslim geworden sei. Beeindruckt von der Lauterkeit und dem eindrücklichen Verhalten dieser Menschen sowie von der Erscheinung des Scheikhs der Tariqa, der in einfachsten Verhältnissen lebte, nahm er selbst den Islam an. Dieser Mann ist Sheikh Abd el Qadir as Sufi al Murabit.
Inwieweit beeinflusst das gängige Finanzsystem, das auf Riba (Zinsnahme, Spekulation, etc.) aufbaut, die Lage der Menschheit?
Natürlich auf bedeutende, einschneidende Weise! Die Gier, die Verantwortungslosigkeit im Umgang mit unserem Vermögen, das ?Gambling? an der Börse, die ungerechte Verteilung der Gelder und die auch die mangelnde Haftung der Hauptakteure richten immensen Schaden an. Zins (- Wucher) sei allen monotheistischen Buchreligionen verboten. Innerhalb des Christentum jedoch u.a. durch Calvin "legalisiert", der es für nötig befunden hätte, mit der ökonomischen Entwicklung auf Basis der Zinsgeschäfte Schritt zu halten, fand er Billigung auch in der christliche Welt. Er selbst, Hassan at Turabi unterstütze an verschiedenen Standorten in der ganzen Welt Banken, die auf islamischer Basis arbeiten wollen. Im gängigen ?islamic banking? werde jedoch viel betrogen und hinters Licht geführt. Es sei nötig, überall auf der Welt Institutionen zu etablieren, die nach islamischen Grundsätzen arbeiten und untereinander kooperierten. Dr. Hasan at Turabi kennt auch das Projekt des Golddinars und Silberdirhams, das vor allem in Malaysia, Kelantan, umgesetzt wird.
Zu guter Letzt holt Dr. Turabi noch ein Büchlein, das er mir auf den Weg mitgibt: ?Emancipation of Women ? an Islamic Perspective? ?. Kleine Anektote am Rande noch zum Abschluss: bei einem Gefängnisaufenthalt hatte der Politiker nur ein einziges Buch bei sich: ein arabisches - deutsches Wörterbuch, welches er von vorne bis hinten und retour durchackerte. Allerdings hätte dies nicht ganz ausgereicht, um unsere Konversation (von Englisch) auf Deutsch umzustellen. Ein Foto wird mir gewährt, auch die Erlaubnis, über unsere Begegnung zu schreiben erteilt mir der grosszügige Mann ohne weiteres?
Ich danke sehr für die Gastfreundschaft des Hauses ? und es war mir eine Freude und Ehre, mich mit Ihnen unterhalten zu dürfen, Herr Turabi!