Wir arbeiten gerade an einem NZZ Folio zum Thema Atheismus. Unter anderem stellen wir die Weltreligionen kurz vor und erklären, wie man beitritt ? und wie man wieder austritt. Oftmals geschieht das ja auf zwei verschiedenen Ebenen, wie etwa bei der katholischen Kirche, aus der man etwa staatsrechtlich austreten kann, kirchenrechtlich aber nicht. Nun würde ich gerne wissen, wie das beim Islam ist, also auf zwei Stufen. Kann ich einer muslimischen Vereinigung in der Schweiz beitreten, sozusagen wie einem Verein, wenn ich zum Islam übertrete? Und kann ich aus dieser Vereinigung wieder austreten mit einer Kündigung, rechtlich gesehen? Aus islamischer Sicht kann man ja, soweit ich es verstanden habe, aus dem Islam selbst nicht mehr austreten.
Herzlichen Dank für Ihre Hilfe und freundliche Grüsse
Sie haben recht, dass, ws. ähnlich wie bei der Katholischen Kirche - ein Austritt aus der Religion des Islam theologisch nicht vorgesehen ist - dies wäre grundsätzlich auf die Umstände während den Gründungsjahren der muslimischen Gemeinschaft zur Zeit des Propheten (Gottes Segen und Zufriedenheit mit ihm) als Wirtschafts- und Wehrgemeinschaft zurückzuführen und der Austritt, also das Überlaufen zum Feind (damals die heidnischen Mekkaner in erster Linie) war unbedingt als tödiche Gefahr und Überlebensfrage für die gesamte Gemeinschaft zu werten.
Ein muslimischer Verein in der Schweiz ist eine eine zivile juristische Person und daher der Schweizer Geseztlichkeit unterworfen. Es stellt also grundsätzlich überhaupt kein Problem dar - weder juristisch noch theologisch - einem muslimischen/islamischen Verein beizutreten und/oder diesen wieder zu verlassen.
Gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Zeit als Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinde Linz für Oberösterreich und Salzburg (ein Organ der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Körperschaft öffentlichen Rechts).
a.) Selbstverständlich war die Zugehöigkeit zur Religionsgemeinde (ein Organ der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, IGGiÖ) an einen freiwilligen Beitritt. über die Abgabe eines Antrags um Mitgliedschaft gebunden - und ebenfalls war es genauso möglich, die Religionsgemeinde wieder zu verlassen (Artikel 1/4) - womit nach der aktuellen Fassung der Verfassung der IGGiÖ gleichzeitig auch die Mitgliedschaft zur Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich beendet wird ... was meines Erachtens allerdings einen Widerspruch zur allgemein und absolut gehaltenen Aussage und Formulierung in Artikel 1/5 der Verfassung empfinden lässt.
b.) Gewisse Umstände erlauben es allerdings auch, bestimmte Menschen aus der Gemeinde und damit auch aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich überhaupt - ohne jegliche Folgen - gänzlich auszuschließen (siehe Artikel 19 der Verfassung der IGGiÖ). Solch ein Austritt kann natürlich von einem Mitglied durch entsprechendes Verhalten (schädliches Verhalten gegen die IGGiÖ etwa) provoziert werden.
c.) In meiner 12-jährigen Amtszeit kam es, wenn ich mich recht erinnere, 3 x zu Anträgen (gleich wie dies bei der Katholischen Kirche - jedenfalls in Österreich nach zivilem Recht möglich ist) die über das städtische Magistrat Linz eingereicht wurden, die Religion des Islam gänzlich zu verlassen. Diesen Anträgen habe ich ohne weiteres Nachfragen schriftlich stattgegeben. (Zusatzinformation: islamisches Vertragsrecht gebietet den Muslimen in nichtmuslimischen Ländern die Rechtspechung im Aufenthaltsland zu respektieren und umzusetzen).
Kurz - wir haben grundsätzlich zwischen 3 Ebenen zu unterscheiden.
1. die rein theologische Ebene, die einen Austritt aus der Religion als unzulässig erachtet
2. die zivilrechtliche Ebene in nichtmuslimischen Ländern, die einen Religionsaustritt zulässt und dies von den islamischen Organen zu respektieren und akzeptieren ist
3. die (theologische und zivile) juristische Ebene in muslimischen Ländern, die von Land zu Land unterschiedlich gestaltet sein kann
Für die Schweiz werden, soweit ich mir dies einzuschätzen erlaube, so es zu einer öffentlich rechtlichen Anerkennung einer Glaubensgemeinde (z.B. in Basel) kommen sollte, ähnliche juristische Ausformungen wie in Österreich umgesetzt werden. Doch wird dies in definierter juristischer Form festzulegen, der jeweiligen Gemeinschaft und dem Kanton obliegen.
D.h.
grundsätzlich wird jedes Kind mit muslimischem Vater als Muslim gesehen die Mitgliedschaft in die Glaubensgemeinde muss bis zum 14ten Lebensjahr von den/dem Erziehungsberechtigten schriftlich beantragt werden die Mitgliedschaft in die Glaubensgemeinde muss ab dem 14ten Lebensjahr vom mündigen Bürger selbst schriftlich beantragt werden ein Austritt oder ein Ausschluss wird zivilrechtlich und konsequenzlos, da in der Schweiz das schweizerische Zivilrecht im Konfliktfall jeglichem anderen Recht übergeordnet ist, möglich gemacht sein (die theologische diesbezügliche Einschätzung wird dadurch nicht berührt)
So meine Einschätzungen in Kürze.
Hoffe meine Ausführungen haben Ihre Fragen beantwortet. Für weitere Nachfragen stehe ich gerne zu Verfügung
Mit besten Grüßen Michael Muhammad Hanel Pressespecher VIOZ
Lieber Herr Hanel
Nocheinmal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Ich zitiere Sie nicht persönlich, und habe Ihre Informationen mit jenen, die ich von einer Islamwissenschafterin bekommen habe, verschmolzen. Leider ist der Platz sehr beschränkt und ich musste alles verknappen. Hier also der Text, mit freundlichen Grüssen, Barbara Klingbacher
Zitat von KlingenbachDer Islam
Eintritt: Nach einer traditionellen Sichtweise, die auf der Sunna basiert, ist jedes Kind muslimisch, da dies seine fitra (Veranlagung) sei; erst danach wird es zum Juden oder Christen gemacht. In der Regel aber ist ein Kind muslimisch, wenn der Vater es ist. Der Übertritt als Erwachsener ist einfach: Wer das Glaubensbekenntnis, die Schahada, («Ich bezeuge, dass es keine Gottheit ausser Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist») bei vollem Bewusstsein vor zwei muslimischen Zeugen spricht (auf Arabisch), ist Muslim und kann Mitglied in einer Glaubensgemeinschaft werden.
Austritt: Muslimische Organisationen sind in der Schweiz sind in aller Regel keine öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften; sie sind als Vereine oder Stiftungen organisiert. Zivilrechtlich gesehen kann man schriftlich austreten; auch das islamische Vertragsrecht gebietet Muslimen in nicht-muslimischen Ländern, die Rechtsprechung des Aufenthaltslandes zu respektieren und umzusetzen. Theologisch hingegen ist ein Austritt aus der islamischen Umma (islamische Weltgemeinschaft) durch den Vereinsaustritt nicht vollzogen und nicht vorgesehen. Man bleibt aus islamischer Sicht muslimisch. Nach der Scharia steht auf den Abfall vom islamischen Glauben der Tod, obschon der Koran selbst dafür keine Strafe im Diesseits vorsieht.