Prof. Dr. Mouhanad Khorchide Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik Centrum für Religiöse Studien
Ansprache anlässlich der Begegnung des Heiligen Vaters mit Vertretern des Islam am 23. September 2011 in Berlin
Das Kriterium der Liebe und Barmherzigkeit im Islam und Christentum
Eure Heiligkeit, Eminenzen, Exzellenzen, verehrte Brüder und Schwestern im Glauben,
schon bei Ihrem Besuch im August 2005 in Köln haben Sie, eure Heiligkeit, das Gespräch mit den Muslimen in Deutschland gesucht. Dafür, dass Sie dies auch diesmal tun, möchte ich Ihnen ? auch im Namen aller hier versammelten Muslime ? ganz herzlich danken. Ich sehe dies ? und ich bin sicher, dass dies die meisten Muslime in Deutschland genauso sehen ? als eine Geste der Würdigung der Muslime in Deutschland, die uns Muslimen Anerkennung, aber auch Ehre erweist und ein weiteres wichtiges Zeichen für das friedliche Miteinander von Christen und Muslimen dieser Welt darstellt.
Wir stehen in Deutschland mitten im Prozess der Etablierung der islamischen Theologie an deutschen Universitäten. Als islamischer Theologe an der Universität Münster ist es für mich eine große Ehre und Freude hier zu stehen und stellvertretend für viele Muslime in Deutschland sprechen zu dürfen.
Das im Vatikan im Jahre 2008 ins Leben gerufene katholisch-muslimische Forum ist eine wichtige Plattform für den muslimisch-christlichen Dialog. Auch die Etablierung der islamischen Theologie an deutschen Universitäten öffnet Raum, nicht nur für eine konstruktive Reflexion der islamischen Theologie, sondern auch für einen sachlichen Austausch mit den christlichen Theologien, in dem wir mit- und voneinander lernen können.
Das gilt für Münster, wo zwei der größten christlichen Fakultäten Europas ansässig sind, und auch für Osnabrück, Frankfurt, Erlangen, Tübingen. Wir, Muslime und Christen, betonen in unseren Begegnungen, dass wir an denselben Gott glauben, an den Gott von Abraham, Isaak, Jakob und Ismael.
Wenn aber Muslime von Gott sprechen, sprechen sie dann alle vom selben? Wenn Christen von Gott sprechen, sprechen dann alle vom selben? Denn in beiden Religionen gibt es eine Bandbreite an Gottesvorstellungen. Wir benötigen daher ein Kriterium, an dem wir uns orientieren können, um zu wissen, ob wir überhaupt von Gott sprechen und nicht von einer subjektiven, oder sogar politischen Projektion. Im Christentum würde man Jesus selbst als Kriterium nennen, denn Jesus gilt im Christentum als die Offenbarung Gottes. Und wie sieht es im Islam aus? Die im Koran am häufigsten vorkommende Eigenschaft Gottes ist die Bezeichnung ar-Rahman bzw. ar-Rahim, zu Deutsch ?der Allerbarmer, der Barmherzige?. Die Selbstbeschreibung Gottes im Koran als barmherzig allein reicht jedoch nicht aus, um seine Barmherzigkeit wahrzunehmen. Die Offenbarung Gottes und seine Barmherzigkeit bedeuten mehr als nur eine Mitteilung, sie bedeuten, dass diese Barmherzigkeit Gottes für den Menschen zugänglich, also erlebbar und erfahrbar wird, dass Gott erfahrbar wird. Seine Barmherzigkeit hat Gott nicht nur im Wort, im Koran, offenbart, sondern in der Schöpfung selbst. Jeder Akt der Barmherzigkeit in dieser Welt ist eine Manifestation der Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes, denn die Barmherzigkeit Gottes umfasst, wie der Koran in Sure 7, Vers 156 betont, alle Dinge.
Der Koran gibt einen Hinweis auf diese Manifestation der Barmherzigkeit Gottes und fordert auf, diese wahrzunehmen: ?Schau doch auf die Spuren der Barmherzigkeit Gottes! Schau wie er die Erde wieder belebt, nachdem sie abgestorben war? (Sure 30, Vers 50). Der Mensch kann durch sein Zutun die Erde fruchtbar machen und damit die Barmherzigkeit Gottes veranlassen. Somit erhält die Offenbarung einen dialogischen Charakter, denn der Mensch selbst kann sie hervorrufen und veranlassen, indem er barmherzig und gütig handelt. Dies ist auch der Auftrag an den Menschen.
Das im Jahre 2008 ins Leben gerufene katholisch-muslimische Forum betont die Liebe zu Gott und zum Nächsten als das zentral Verbindende zwischen Islam und Christentum. Folgende Erzählung des Propheten Mohammed erinnert an das Matthäus-Evangelium: ?Im Jenseits wird Gott einen Mann fragen: ?Ich war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu essen gegeben und ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben?, der Mann wird daraufhin erstaunt fragen: ?Aber du bist Gott, wie kannst du krank, durstig, oder hungrig sein??, da wird ihm Gott antworten: ?An jenem Tag war ein Bekannter von dir krank und du hast ihn nicht besucht. Hättest du ihn besucht, hättest du mich dort bei ihm gefunden. An einem Tag war ein Bekannter von dir hungrig und du hast ihm nichts zum Essen gegeben und an einem Tag war dein Bekannter durstig und du hast ihm nichts zum Trinken gegeben.??1 Dort, wo man eine Hand der Barmherzigkeit und der Güte ausstreckt, manifestiert sich Gott, dort ist Barmherzigkeit, dort ist Gott. Dort, wo eine Mutter ihr Kind umarmt, dort, wo man einen Menschen anlächelt, überall dort, wo man ein Zeichen der Güte, der Liebe und der Barmherzigkeit setzt, dort veranlasst man die Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes, dort macht man Gott erfahrbar.
Seine Barmherzigkeit beschreibt Gott im Koran als absolut. Das Einzige, zu dem sich Gott im Koran ?verpflichtet? hat, ist die Barmherzigkeit: In Sure 6, Vers 12 heißt es: ?Er hat sich selbst der Barmherzigkeit verpflichtet.?.
Gott, christlich gesprochen, als die Liebe und islamisch gesprochen als die Barmherzigkeit, offenbart sich also in der erfahrbaren und gelebten Liebe und Barmherzigkeit hier und jetzt in dieser Welt. Nach diesem dialogischen Verständnis von Gott kann der Mensch, ja er soll, die Offenbarung Gottes veranlassen. Liebe und Barmherzigkeit sind daher das Kriterium, das wir Muslime und Christen miteinander teilen, um zwischen einem göttlichen Angebot und einem nicht göttlichen Angebot zu unterscheiden. So heißt es im 1. Johannesbrief (4,16.21): ?Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm? und im gleichen Sinne heißt es in einer Überlieferung2 des Propheten Muhammad: ?Gott sagt: ?Wer in meiner Liebe lebt, dem bin ich seine Ohren, mit denen er hört, seine Augen, mit denen er sieht, seine Hände, mit denen er verrichtet und seine Beine, mit denen er auf Erden wandelt.?? Ich wünsche uns Muslimen und Christen wachsendes gegenseitiges Verständnis und Gottes Liebe und Barmherzigkeit und ich wünsche Ihnen, Eure Heiligkeit, Gottes Segen auf diesem Wege.
1 Überliefert nach Muslim, Hadith Nr. 2569. 2 Überliefert nach Bukhari, Hadith Nr. 6137
Doch dies sei verziehen, weil doch nicht jeder auch nur annähernd ein "Goethe" sein kann ... doch Einsicht, Lernwilligkeit und Mut zur Verbesserung darf schon verlangt werden, oder wäre dies gegen (gutes) islamisches Verhalten?
Ach, bevor ich es vergesse:
Einige unserer Gelehrten, welche weder als liberal oder zu wenig glaubenstreu zu bezeichnen wären, berichteten schon vor bald 100 Jahren von ihren Reisen in den Westen: "Wenig Muslime gibt es dort - aber viel Islam ..." ein weiterer Widerspruch, ein Zuspruch oder Einspruch ... für oder gegen "wen oder was"?
Eine spannende Debatte, welche sich eher auf der Grundlage traditioneller, typisch islamischer Gelehrsamkeit, denn typisch muslimischer Befindlichkeit entwickeln sollte (wenn man mag ...).