Der Islam und die Muslime sind hierzulande in aller Munde. Täglich kann man eine grosse Zahl von Artikeln finden, in jeder Tages ? und Wochenzeitung, die man aufschlägt, wird man fündig. Fast kein Bürger der europäischen, nicht ? muslimischen Gesellschaft, der nicht über diese Religion zumindest einiges zu wissen glaubt, der sich nicht bemüssigt fühlt, ein Urteil darüber abzugeben. Ja, manch ein ?Christ? mit wenig Ahnung über die Inhalte des Christentums, glaubt, sich aufgrund von Wissen aus dubiosen Quellen ein treffsicheres Urteil über Inhalte des Islam und Gebräuche der Muslime erlauben zu können. Auf der anderen Seite geht es der Masse der Muslime nicht besser. Wissen allgemein ist vorwiegend in qualitativ minderwertiger Form im Umlauf und auch was ihren Glauben betrifft, fallen die Muslime immer mehr der Unwissenheit und der Ver(w)irrung anheim. Es entsteht der Eindruck, dass je weniger Substanz unsere Lebensinhalte aufweisen, desto mehr darüber geredet wird. Der auf diese Weise vorbelastete unqualifizierte Diskurs wird zudem journalistisch und politisch instrumentalisiert und es wird nur allzu oft klar, dass hier ein ?böses Spielchen? läuft, das nicht der Wahrheitsfindung dient, sondern in dem im Gegenteil alles Wahrhaftige eher gezielt in ein schlechtes Licht gerückt wird und der Mangel an Wahrhaftigkeit insofern ausgenutzt wird, als er einem hintergründigen Machtanspruch Vorschub leistet, der nichts Gutes mit der Menschheit im Sinne hat.
Man kann im Internet unter ?Dialektik? folgendes finden:
Schon Arthur Schopenhauer hat - in einer zu Lebzeiten nicht veröffentlichen ?eristische Dialektik? genannten Schrift - festgehalten, es gehe es beim ?Disput? (Redestreit) nicht um den ?Wahrheitsgehalt einer Aussage?. Diese könne ?mit den Werkzeugen der Logik und Argumentationskette gedreht und gebogen werden?. Es gehe ?am Ende darum, zu gewinnen?, ?Recht zu behalten?. Hierfür erstellte er ein Gerüst von Regeln, die helfen, dieses Ziel zu erreichen ? als rein taktischen Kampf der Worte ? ohne Rücksicht auf die Wahrheit dahinter. Schopenhauer findet sich hier im Widerstreit zu Aristoteles, dem diese Möglichkeit des ?rein strategischen Wortstreits? durchaus auch bekannt war, dem es aber sehr wohl noch um die Wahrheitsfindung ging und der daher (im letzten Kapitel der ?Topica?) riet: nicht mit dem Ersten dem Besten zu disputieren; sondern allein mit solchen, die man kennt und von denen man weiß, dass sie Verstand genug besitzen, nicht gar zu Absurdes vorzubringen und dadurch beschämt werden zu müssen; und um mit Gründen zu disputieren und nicht mit Machtsprüchen, und um auf Gründe zu hören und darauf einzugehen, und endlich, dass sie die Wahrheit schätzen, gute Gründe gern hören, auch aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug haben, um es ertragen zu können Unrecht zu behalten, wenn die Wahrheit auf der anderen Seite liegt. Daraus folgt, dass unter Hundert kaum Einer ist, der es wert ist, dass man mit ihm disputiert.? (Das war vor mehr als 2000 Jahren schon so ? dieses Zahlenverhältnis dürfte mittlerweile noch schwer zu Ungunsten der Wahrheitsliebenden verschoben sein?.!)
Es existieren also Techniken?, die wie Kampfstrategien im verbalen Bereich angewendet werden können ? schlicht um zu siegen, nicht um damit der Wahrheitsfindung näher zu kommen! Und was liegt näher, in unserer heutigen Zeit der vielen Worte und der Beeinflussung und Steuerung der Massen durch Worte und Bilder als die Einsicht, dass hier eine Art ?öffentlicher Krieg der Worte? geführt wird, ein strategisch ausgeklügeltes ? verbales Gefecht?, das den Menschen ?vorpräpariert? und ?jongliert? um gewisse Machtansprüche leichter und müheloser durchzusetzen als es ohne diese ?Vorarbeit? je möglich wäre. Ein Gefecht, das seine Nahrung aus der parallel laufenden ?Substanzverminderung? der menschlichen Seele und der Entleerung und Verwässerung der menschlichen Taten bezieht.
Wie unser Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) es beschrieben hat, besteht unser Leben aus einer Wechselwirkung zwischen Absicht des Herzens, Wort und Tat. Die ?Entfernung eines Übels? hat er uns so nahegelegt: ?Wenn jemand von euch ein Übel sieht, so soll er es mit seiner Hand entfernen? (also etwas dagegen tun) ?wenn das nicht geht, mit dem Wort (Argument) und wenn das auch nicht geht mit dem Wunsch des Herzens dagegen halten. Und dies (letzteres) ist das Schwächste von den Dreien?. Die Handlung wird hier also als das ?stärkste Glied in der Kette? beschrieben, in anderen Überlieferungen aber werden wir ausdrücklich auf die Wichtigkeit der Absicht und Ausrichtung des Herzens hingewiesen. Wir müssen uns also anhand der weltweit miserablen Zustände vor allem auch in der muslimischen Gemeinschaft wohl fragen, wo es denn ganz grundsätzlich hapert in der Umsetzung unseres von Allah aufs Beste vervollkommneten und von Seinem Gesandten Muhammad so wunderbar vorgelebten Glaubens, wo dieser ?Fehler im System? hockt, der unsere Religion ihrer Substanz für unsere gelebte Praxis beraubt, ihre Wirkung auf uns selbst wie auf unsere Umgebung minimiert und langsam zunichte macht. Sollten uns fragen, was wir tun können, um die Verhältnisse zu ?reparieren?, um wieder in die Lage versetzt zu werden, ?das Gute zu gebieten und das Schlechte zu verwehren?, wie es uns im Qur?an auferlegt wird ? als ?beste der Gemeinschaften?! (Sure 3:110)
Nie in der Geschichte des Islam wurde das Element der Gottesliebe und die Modalitäten der menschlichen Annäherung an IHN so sehr vernachlässigt, wie das heute der Fall ist. Die muslimische Gemeinschaft hat sich von Beginn an auf akribische Art und Weise mit der ?Aqida?, der Art und Weise des Verständnisses von Gott und Seiner Glaubensartikel beschäftigt. Hat sich mit den im Umlauf befindlichen Denkweisen (Philosophien) der Nichtmuslime befasst, mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der jeweiligen Zeit und hat diese im Licht des muslimischen Glaubens ? nicht bloss in Anbetracht ihrer Nützlichkeit für unser physisches Wohl ? zu analysieren und beleuchten gesucht. Die Wissenschaft des Tassawwuf (des Sufismus, d.h. der inneren Herangehensweise an das Göttliche) hat sich gründlich mit des Menschen Seele und deren Ausrichtung auf Gott beschäftigt und war in ihren reinsten Formen auch über die längste Zeit der muslimischen Geschichte selbstverständlicher Teil der muslimischen Gelehrsamkeit. Über Jahrhunderte haben die Muslime den Islam in seiner Ganzheit gepflegt und gehütet ?wie ihren Augapfel? und haben sich darin unterstützt, seine Essenz immer wieder zu reinigen und zu erhalten, keine wesensfremden Elemente überhandnehmen zu lassen und keinen Schaden, keine ?Neuerung? an der eigentlichen Substanz der Religion zuzulassen. Anfangs des letzten Jahrhunderts dann war die muslimische Gemeinschaft insgesamt an dem Punkt angelangt, wo sie dennoch, von Geldschulden, sowie anderen Ursachen inneren Zerfalls zermürbt und von innen wie von aussen bedrängt, ihre Souveränität aufgegeben hat indem sie sich wirtschaftlichen Belangen mit Haut und Haaren dem Banken- und Zinssystem unterworfen hat. Es ist im ?Äusseren? eigentlich auf den ersten Blick offensichtlich, wo das grosse ?Leck? der muslimischen Gemeinschaft zu orten ist: Wir Muslime haben ? wie alle Nichtmuslime ebenso - unseren Grund und Boden, unser Eigentum und somit unsere souveräne Herrschaft über uns selbst preisgegeben, verkauft. Haben eingewilligt, unter islamisch unkorrekten (haramen) Bedingungen zu wirtschaften, haben uns, wie alle anderen (nichtmuslimischen) Länder auch, der Weltbank als Schuldner unterworfen ? zu zutiefst unislamischen (übrigens auch unchristlichen/nicht thorakonformen) Konditionen. (?Die geringste Form von Zins ist wie Unzucht mit der eigenen Mutter? hat Muhammad s.s. gesagt ? und keine ?islamische Bank? kann diesen ganz grundlegenden Zins, dem jeder sich im Umlauf befindende Papierschein unterliegt, ?eliminieren?!) Nach anfänglichen Widerständen in der muslimischen Gemeinschaft gegen dieses System ? unter anderem von Sultan Ab del Hamid, dem letzten osmanischen Sultan ? und vielen klarsichtigen muslimischen Gelehrten - ist heute ein veränderter Islam Gang und Gäbe, ein Islam, der seine wirtschaftlichen Vorgaben verraten, ?vergessen? hat. Die Gruppierung von Muslimen, die seither gestützt durch Petrodollars ihren Einfluss geltend machen wollen, liebt es, sich auf verschiedenste Weise in Szene zu setzen, alles nur denkbare als ?Neuerung? zu bezeichnen, sich im Gegensatz zu allen anderen Muslimen der Vergangenheit und Gegenwart als die ?besseren?, ?reineren? zu präsentieren - der Missstand, die Neuerung, das immense Vergehen des Zinssystems bleibt dabei aber unangetastet ? ist sogar ihr wichtigstes tragendes Element.
Dennoch kann man den äusseren Umständen nicht alle ?Schuld zuschieben?. Da der Islam keinesfalls als politisches System betrachtet werden und auch nicht an irgendeinem seiner Einzelelemente festgemacht werden kann, muss - auch in unserer gegenwärtigen verfahrenen Situation - zuallererst der Blick auf unser Innerstes erfolgen. Wir müssen unsere Absicht, unsere Ausrichtung prüfen, die Stärke unserer Hingabe, unseres Vertrauens, unserer Liebe zu Allah unter die Lupe nehmen und bereit sein, daran zu arbeiten, dort anzusetzen. Es geht kein Weg an der Überwindung unserer inneren Hindernisse vorbei, wollen wir die im Äusseren angehen und ?in den Griff bekommen?. Das eine ist eine Reflektion des anderen, steht damit in Wechselwirkung, ist vom jeweils anderen abhängig. Nie kann auf einen der beiden Aspekte alleine nachhaltig Einfluss genommen werden.
Wissen kann in diesem Sinne für den verständigen Menschen nicht bloss als Angelegenheit der Hirnwindungen begriffen werden. Wissen hat sehr viel mit dem, was im Arabischen als ?Iman? bezeichnet wird, als ?sicherer Glaube? oder ?Gewissheit? zu tun und ist somit im Herzen verankert sowie in diesem Wechselspiel des Glaubens des Herzens mit den Handlungen unserer Glieder. Erfahrung spielt wohl eine grössere Rolle für das Wissen als Gedanken ? deshalb sollten wir Menschen von Verstand wohl mehr Augenmerk auf die Substanz unseres Inneren sowie die unserer Taten legen ? um unserer ganzen Existenz und somit auch unseren Worten wieder mehr Substanz, Würde und Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Nur über die aufrichtige, ergebene Hinwendung an unseren Schöpfer in allen Seinen Eigenschaften sowie aus der Auseinandersetzung mit der Realität in uns wie um uns herum können wir die Kraft erlangen, die nötig ist, um eine Wende zur zu bewirken. Nur so kann eine Transformation geschehen, die einem Gleichgewicht in Haltung, Wort und Tat entspringt. Möge der vergangene Fastenmonat dazu beigetragen haben und möge uns die Motivation erhalten bleiben, unsere Angelegenheiten zu einem guten Ende zu führen.
Salam aleikum wa Rahmatullahi wa Barakatuhu S.A.M.