Am 5. April 2010 hat sich das Aargauer Kantonsparlament dafür ausgesprochen, eine Standesinitiative für ein nationales Burka-Verbot zu lancieren. Ähnliche Vorstösse werden in Kürze auch in den Parlamenten der Kantone Bern und Solothurn diskutiert. Es hat allen Anschein, dass neben dem Minarettverbot, eine zweite Freiheitseinschränkung für die Muslime ihren Platz in der Schweizer Verfassung findet. Doch aus welchen Gründen kommt man auf die Idee, die Freiheit dieser wenigen Schweizer Musliminnen verfassungsrechtlich einzuschränken? Welche Gedankengänge stecken dahinter? Hat dieses Verbot vielleicht noch einen anderen Zweck? Und noch wichtiger ist wohl die Frage, ob die Schweiz mit ihrem angeschlagenen Image noch ein weiteres Debakel ertragen will
Wie schon auch bei der Minarettinitiative begegnet man im Zusammenhang mit dem Burka-Verbot unnachvollziehbaren Gedankengängen und widersprüchlichen Argumentationen. Schon damals hatte man gesagt, dass der Bau von Minaretten nur zu neuen Ansprüchen von Seiten der Muslime führen würde ? wie zum Beispiel dem fünfmaligen öffentlichen Gebetsruf, dem Azan. Dabei ist es jedem halbwegs vernünftigen Menschen bewusst, dass ein solches Anliegen wiederum die Zustimmung des Parlaments und des Volkes bräuchte, wofür nicht ein Hauch einer Chance bestände. Oder das berühmteste Beispiel einer Rechtfertigung bei dieser Religionsfreiheitseinschränkung war wohl der Vergleich mit den von der Schweiz als äusserst konservativ und undemokratisch bezeichneten Ländern wie Iran und Afghanistan. Anstatt auf Kirchtürme in der Türkei, in Bahrain, in Syrien, Libanon, Ägypten und sogar Iran zu verweisen, nannte man zusammenhanglose Beispiele wie zum Beispiel, das Fehlen von Kirchen in Saudi Arabien ? was in etwa vergleichbar mit einem Minarett im Vatikan wäre. Wenn es um die Verankerung von Verboten gegen Muslime in der Verfassung geht, vergleichen sich gewisse Schweizer Kreise gerne mit Iran, Afghanistan und Saudi Arabien, in allen anderen Diskussionen aber, sehen sie die Schweiz als eines der europäischen Länder mit den meisten Freiheiten und der grössten Toleranz ? als eine ?Multi-Kulti-Nation?.
Man sollte sich also nicht wundern, wenn nun im Zusammenhang mit der Debatte um das Burka-Verbot auf einmal von Kleidervorschriften in Iran und Saudi Arabien die Rede ist. Ausserdem ist die Schweiz neben Belgien, welches vor Kurzem schon ein Gesetz gegen das Tragen von Burkas verabschiedet hat und Frankreich, das auch ein solches Vorgehen plant, das einzige Land Europas, welches eine solche Einschränkung der Religionsfreiheit in Betracht zieht. Auch mit dem Minarettverbot hat die Schweiz mit dem Einschränken von Religionsfreiheit eine Pionierrolle in der EU eingenommen.
Gegen die Burka hat man ja oft damit argumentiert, dass die Familien die Betroffenen meistens zum Tragen einer Burka zwängen und dass man mit einem Verbot nur Freiheit für die Betroffenen erreichen möchte. Ist es denn wirklich so, dass diese Frauen dazu gezwungen werden? Ist es denn so schwer zu glauben, dass man so etwas aus religiöser Überzeugung tut? Schliesslich hat die Schweiz eine christliche Kultur. Eine Kultur in der man den Brauch hatte ? oder sogar immer noch hat ? sein Leben in einem Kloster zu verbringen, enthaltsam zu leben und nie eine Familie zu haben; sich für seine Religion hinzugeben. Ist denn die Hingabe einer Nonne denn besser zu verstehen als die Hingabe einer Frau, die nicht auf Familie verzichtet, aber sich für ihr Glauben in der Öffentlichkeit verhüllt? Wie viele Burkaträgerinnen hat man denn befragt, dass man so genau weiss, dass alle diese Frauen zu dieser Bekleidungsweise gezwungen werden? Und auch wenn es solche Frauen gibt, die unter Zwang eine Burka tragen, hätte man denn mit einem nationalen Burka-Verbot nicht allen anderen, freiwillig Burka tragenden Musliminnen ihre Religionsfreiheit geraubt? Wäre ein nationales Verbot wirklich eine vernünftige Lösung?
Wenn man bedenkt, dass man gegen Nacktwanderer (bei denen es sich nebenbei gesagt um fast mehr Personen handelt als bei Burkaträgerinnen) auf kantonaler Ebene vorgeht, jedoch die religionsbedingte Verhüllung des Körpers auf nationaler Ebene verbieten möchte, dann tauchen Fragen auf. Ist denn die Verhüllung denn schlimmer als das Nacktsein? Oder möchten sich gewisse Kreise einen Vorteil verschaffen, indem sie den Fremdkörper in der Schweiz, den Islam, immer wieder in den Mittelpunkt stellen und dieser noch ziemlich unbekannten und angeblich altmodischen und gefährlichen Religion immer mehr die Bewegungsfreiheit entziehen? Dass man eine Religion oder eine Kultur für politische Zwecke missbraucht hat, kam ja in der Geschichte unzählige Male schon vor und wäre keine Neuheit.
Dass ein weiteres Verbot für die Muslime eine grosse Enttäuschung ist, ist ja wohl klar, aber was würde die Verankerung eines nächsten freiheitseinschränkenden Artikels in der Verfassung für die bereits angespannten Beziehungen der Schweiz mit dem Ausland bedeuten? Vor allem die Reaktion der muslimisch geprägten Länder wäre für die Schweizer Diplomatie wohl von Nachteil. Es ist nicht zu vergessen, dass in einem dieser muslimisch geprägten Länder immer noch ein Schweizer festsitzt. Eine klare Konsequenz wäre, dass die Schweiz ihr Ansehen als ein "ach so toleranter Staat" nun endgültig verloren hätte.
Auch wenn man als Schweizer Muslim oder Muslimin einen gewissen Ärger über solche Angriffe auf die Religionsfreiheit verspürt, spürt man immer noch ein gewisses Vertrauen zum Schweizer Stimmvolk und erhofft sich im Endeffekt wie jeder Schweizer, dass die Zukunft Gutes für die Schweiz bringt.