Warum sich Schweizer Muslime stärker in die Gesellschaft einbringen sollen
Nach der unerwartet hohen Zustimmung an das Minarettverbot bei der letzten Abstimmung im November, suchen sowohl Muslime wie auch Nichtmuslime nach den Ursachen. Betrachtet man die Expertenanalysen, so stellt man fest, dass es nicht grassierende Missstände und weitverbreitete unlösbare Probleme mit den Muslimen in der Schweizer waren, die zu diesen Ergebnis geführt haben, sondern Ängste und mediale Bilder über tatsächliche Missstände unter den Muslimen ausserhalb der Schweiz und gezielte Diffamierung durch das Initiativkomitee und seine antiislamischen Helfer. ?Also können wir gar nichts dafür?, könnten wir Muslime daraus schliessen. Solch ein Schluss wäre jedoch nicht ganz korrekt, denn es gibt tatsächlich vorhandene Integrationsprobleme ? auch wenn der Abstimmungsgegenstand in keiner Weise kausal mit diesen zusammenhängt. Eine wesentliche Ursache für die gegenwärtige Situation ist mangelndes Vertrauen der Mehrheitsgesellschaft in ihre muslimische Minderheit, zu einem wesentlichen Teil aus mangelnder Kenntnis seiner Muslime ? nicht (nur) des Islams ? und fehlenden Berührungspunkten mit diesen. Dazu beigetragen haben auch die in der Schweiz lebenden Muslime und ihre Organisationen, weil viele von ihnen unter sich blieben bzw. sich zu wenig geöffnet haben. Sie haben es leider nicht geschafft, eine schweizerische muslimische Identität zu entwickeln oder zu solch einer beizutragen. Überdies müssen die Muslime nicht nur ihre religiöse Identität in den Vordergrund stellen, sondern auch ihre bürgerliche und damit ihre gesellschaftspolitische Kompetenz an den Tag treten lassen. Von gewissen, (neu in der Öffentlichkeit auftretenden) muslimischen Kreisen beabsichtigte ?Informationsoffensive?, welche sich um theologische Themen dreht, scheint uns nicht ein fruchtbarer Weg zu sein. Für unsere gesellschaftliche Situation ist nicht die theologische Debatte entscheidend ?was der Islam wirklich ist? (was nicht heissen soll, dass jeder Gläubige in seinem Herzen nicht diese Wahrheit erfahren will), sondern wie wir Schweizer Muslime den Islam verstehen, leben und umsetzen wollen. Und auch hier helfen Worte nicht viel, wie uns die etlichen Stellungnahmen, Diskussionen und Interviews der Muslime im Vorfeld der Abstimmung gezeigt haben. Wie wir Schweizer Muslime den Islam verstehen, leben und umsetzen wollen, sind erfahrbare, sichtbare und effektive Handlungen (und keine Worte), an welchen sich erkennen lässt, ob die Worte auch so gemeint sind. Nur eine ehrliche und nachhaltige Interaktion mit der Mehrheitsgesellschaft kann längerfristig Vertrauen schaffen und dazu beitragen, Ängste abzubauen. Dieser Weg scheint uns der erfolgreichste Weg zu sein, um unsere Minderheitenrechte zu wahren und als (gleichberechtigter) Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Daher sollen hier realistische Ziele gesetzt werden und die Untersuchung derer im bescheidenen Rahmen geschehen, um den Nutzen dieser Ziele nicht zu verpassen. Das allgemein erklärte Ziel ist es, dass sich die Muslime in die Schweizer Gesellschaft integrieren sollen. Die Frage nach der Definition der Integration ist eine schwierige und schon seit längerem diskutierte Angelegenheit. Für uns stellt Integration die Teilnahme der Individuen an der Gesamtgesellschaft dar, ohne die muslimische Identität aufzugeben. Nur durch diese Integration werden Muslime einen Mehrwert für die Gesellschaft bilden. Eine solche Integration kann aber nicht als Kollektiv durchgeführt werden. Integration beginnt bei jedem Einzelnen. Der kleinste Schritt der persönlichen Integration ist es, sich im Quartierleben einzubringen. Gutes zu tun für die Gesellschaft heisst nicht immer der Moscheegemeinde zu spenden oder für die Moscheegemeinde zu arbeiten. Allah möge auch dies reichlich belohnen. Jedoch haben wir Muslime auch die Pflicht, uns für unsere Nachbarn einzusetzen. Gutes zu tun für den Nachbarn heisst, sich mit den Nachbarn auszutauschen und sowohl an seiner Freude wie auch seinen Sorgen teilzuhaben. Viele Muslime werden dann erkennen, dass sich die Hoffnungen, Sorgen und Ziele der Nichtmuslime sich nicht so sehr von den ihrigen unterscheiden. Der vom Abfall übersäte und vom Unkraut bewachsene Spielplatz der gemeinsamen Wohnsiedlung wird wohl für Eltern, gleich welcher Religion, ein zu änderndes Bild darstellen. Dies kann auch auf die Gemeindeebene ausgeweitet werden. Hierzu kann man sich in Vereine eintragen, die sich z.B. der Verschönerung des Stadtbildes als Ziel gesetzt haben. Viele Muslime werden sich wohl auch am Abfallproblem der letzten Zeit stören. Auch hier bieten sich viele Vereine und Interessengemeinschaften an. Nur dort kann man dazu beitragen, die Ortschaft zu verschönern. Und falls doch keine existieren, hindert uns nichts daran eine neue zu gründen. Dies sind nur einfache Beispiele. Die Muslime müssen über alle Fragen der Schweiz sich eine Meinung bilden, Position dazu beziehen und sich auch dementsprechend einbringen. Auch die Ausübung verschiedener, in Vereinen oder Gruppen organisierter Freizeitaktivitäten könnten, je nach Interesse, die Muslime aus der Isolation herausholen. Man sollte nicht vergessen, dass z.B. Sport gesund für den Menschen ist und seine Ausübung in den Rahmenbedingungen des Islams durchaus neue Impulse auch in diesem Gebiet geben könnte.
Durch ihre Lebensweise und ihre Haltung werden die Muslime den anderen Menschen in diesem Umfeld zuerst fremd vorkommen. Mit der Zeit jedoch wird sich ein grosser Teil der Schweizer Gesellschaft sich an die Muslime gewöhnen. Vielleicht werden hierdurch auch einige Herzen warm für den Islam. Viele der praktizierenden Muslime fehlen in der Öffentlichkeit. So wird das Bild des Muslims von falschen Personen vermittelt. Eine solche Integration wäre ein doppelter Gewinn für die Muslime. Einerseits würden sie viele gute Taten, im Sinne des Tabligh durch Vorleben, vollbringen, was das Selbstvertrauen stärkt und eine gute Vorbereitung für das Jenseits ist und andererseits würden sie dem Bild der Muslime in der Schweiz positives zutragen. Nur so werden Muslime in der Zukunft einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellen und auch so empfunden. Vielleicht werden sie Werte wiederaufleben lassen, die man schon für tot erklärt hat. Als einen späteren Schritt führt dies dazu, dass sich eine schweizerische muslimische Identität herausbildet. Heute fehlt diese Identität weitgehend. Falls aber die Muslime sich auch in der Schweizer Gesellschaft etablieren können und sich eine solche Identität festsetzt, werden diese Menschen anfangen, für ihre Heimat, der Schweiz zu arbeiten. Heute fühlen sich viele Muslime ausgegrenzt. Darum leben sie innerlich immer noch in ihrer alten Heimat. Somit vermag vielleicht die ältere Generation, die noch Erinnerungen an das Heimatland beherbergt, einen realistischen Vergleich zu Schweiz herzustellen. Die Generation aber, die hier geboren wurde, lebt unausweichlich in einer ?Traumwelt?, weil sie das Heimatland nur vage kennt. Die Hoffnung sich irgendwann einmal in diese heile ?Traumwelt? zurückzubegeben, hindert die junge Generation sich in die Gesellschaft einzubringen, in der sie in der Realität leben. Eine Identität aber als Schweizer Muslim wird helfen, dass viele Menschen aus dieser ?Traumwelt? ausbrechen und sich hoffentlich an der Wohlfahrt der Gesellschaft beteiligen.
Eine solche Beteiligung wäre für die meisten praktizierenden Muslime Neuland. Es würde heissen, dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld ausbrechen und als Vertreter des Islams in vielleicht für sie völlig unbekannte Territorien eintreten. Dies ist nicht ganz ohne Gefahren. Zumal viele Muslime sich nicht herauswagen, weil sie befürchten ?Draussen? ihrem Nafs zu erliegen. Sie fürchten auch ihre emotionale Bindung zu der Gemeinschaft der Muslime zu verlieren. Es muss hier aber angebracht werden, dass viele, vor allem junge Muslime diese Problematik schon kennen und täglich sich aufs Neue der Herausforderung eines Lebens in einem meist agnostischen Umfeld stellen. Für viele Muslime der oben genannten zweiten Generation oder der Konvertiten gibt es auch keine andere Realität. Somit sieht man, dass es viele Muslime gibt, die das Leben in der Mehrheitsgesellschaft verbringen. Jedoch werden die oben genannten Ängste für den Gläubigen früher oder später wahr werden, falls er die Bindung zu seiner Gemeinschaft gänzlich aufgibt. Islam ist eine Gemeinschaftsreligion und die Menschen brauchen einander in dieser Gemeinschaft. Hier kann der Gläubige immer wieder Kraft tanken und sein spirituelles Wissen verbreitern. Daher sollte wohl jeder Schweizer Muslim nicht vergessen, dass er ein Muslim ist und sich einer Muslimischen Gemeinde anschliessen und den Kontakt mit der Gemeinde pflegen. Daneben sollte er aber auch seine Pflichten seiner nichtmuslimischen Mitbürger gegenüber nicht vergessen.
Fragen, Kommentare und Anregungen an: info@freitagsclub.org
Ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftliches Engagement sind Teilnahmen an lokalen Anlässen (Dorf, Stadt, Gemeinde). Zu diesen gehören Messen, Stadtfeiern und andere lokale Feste. Dieses Vorhaben setzt aber auch voraus, dass wir als Muslime uns darüber informieren, welche lokalen Veranstaltungen während eines Jahres stattfinden. Um auf dem neusten Stand der Dinge zu sein, ist wiederum ein erstmaliger Besuch eines solchen Anlasses eine gute Annäherung. Nach einigen passiven Besuchen kann auch aktive Hilfe bei manchen Anlässen angeboten werden.
Allerdings muss beim ersten Kontakt mit den Nichtmuslimen an solchen Veranstaltungen beachtet werden, dass der Grund der Teilnahme nicht als eine missionarische Aufgabe gedacht ist oder als solche aufgefasst wird. Deshalb soll man sich einfach wie jedes andere Gemeindemitglied bzw. Stadt-/Dorfbewohner verhalten und nur aufkommende Fragen in Bezug zum Islam beantworten. Das Ziel dieses Engagements ist es nämlich nicht in erster Linie Teblig zu betreiben, sondern, sich als Muslim zuerst einmal in sein nächstes Umfeld zu integrieren und womöglich auch zum Wohle der Gesellschaft etwas Nützliches beizutragen. Man soll demnach in erster Linie Menschlichkeit walten lassen und als offene und ehrliche Persönlichkeit auftreten. Denn primäres Ziel dieses Engagements ist es, Kontakt zu den Nichtmuslimen in der Umgebung aufzunehmen und ihnen im Gegensatz zum klischeehaften Bild eines Muslims, das in den Medien propagiert wird, einen friedfertigen, hilfsbereiten und der Gesellschaft nützlichen Muslim vorzustellen, sowie es auch Allah (st.) im Koran von uns fordert.
Zu diesen lokalen Anlässen kann man entweder alleine hin oder als eine Gruppe von interessierten Muslimen, jedoch sollte hierbei wieder beachtet werden, dass man nicht als eine Gruppe von ?Missionaren? verstanden wird.
Man soll auch Anlässe aussuchen, die einen interessieren, denn nur dann kann man auch wirklich ehrlich sein und in erster Linie als ein Teil des Volkes auftreten und in Diskussionen, zum Beispiel, in verschiedenen Themenbereichen und zu verschiedenen lokalen Problemen konstruktive Meinungen und Lösungsvorschläge liefern.
Falls bei solchen Anlässen von Seiten der Nichtmuslime Diskussionen mit provokanten Fragen in Bezug auf den Islam begonnen werden, und das wird wohl in den meisten Fällen vorkommen, sollte man immer die Sache langsam und verständnisvoll angehen. Nur so kann man zeigen, dass der Islam eine friedfertige Religion ist und von allen Muslimen verlangt, dass sie der gesamten Gesellschaft, inklusive aller Nichtmuslime, behilflich und nützlich sind.
Ehrenamtliche Arbeit
Es ist eine Tatsache, dass wir Muslime uns zu wenig um unsere Freunde, Bekannten und um unser nächstes Umfeld kümmern. Dies kann angefangen bei Krankenbesuchen von auch nichtmuslimischen Freunden, bis hin zu wohltätigen Anlässen, wie gratis Essen im Ramadan, Waldaufräumen und Blutspendeaktionen sein.
Diese Wohltätigkeitsveranstaltungen können solche sein, die von Nichtmuslimen organisiert wurden und bei denen wir Muslime mitmachen oder sie könnten auch von Muslimen für die allgemeine Gesellschaft organisiert werden. Letzteres wäre für uns einen grösseren Aufwand darstellen und dabei liefe auch noch die Gefahr, dass die Wohltätigkeiten nur in Kreisen von Muslimen und für Muslime gemacht werden. Wogegen Veranstaltungen, welche von bereits gebildeten nichtmuslimischen Wohltätigkeitsvereinen erstens kleineren Aufwand brauchen und zweitens die Zusammenarbeit mit Nichtmuslimen für Nichtmuslime fördern.
Durch solche Aktionen erscheint der Islam nicht mehr fälschlicherweise als eine egoistische Religion, deren Mitglieder nur Gutes für die Anhänger ihrer eigenen Religion tun, sondern durch genau solche Aktionen, die dem Wohle aller dienen, werden dann endlich auch die Tugenden des Islams wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit ersichtlich. Denn der Prophet Muhammed (s.a.w.) sagte in einem Hadith: ? Der beste von euch ist der, der der Gesellschaft am nützlichsten ist.? Hier wird kein Unterschied zwischen Muslim und Nichtmuslim gemacht, sondern es ist von einer allgemeinen ?Gesellschaft? die Rede.
Man kann sich in Moscheen versammeln und zu Wohltätigkeitsveranstaltungen wie Blutspenden gehen. Das verlangt aber auch Kontakte mit Wohltätigkeitsvereinen, die in solchen Angelegenheiten langjährige Erfahrung und nötige Mittel haben und auch öfter solche Veranstaltungen organisieren. Somit hätten wir mit wenig Aufwand Grosses erreicht und ausnahmsweise einmal für eine gute Schlagzeile über Muslime gesorgt. Umgekehrt wäre auch zum Beispiel ein Besuch in einem Altersheim, von Muslimen organisiert, naheliegend. Dann könnten wir als Unterstützung verschiedene Wohltätigkeitsvereine zur Hilfe bitten. Somit hätten wir nicht nur Gutes getan und bedürftigen Menschen geholfen, sondern hätten auch etwas Gutes für die allgemeine Schweizer Bevölkerung getan und einen wichtigen Schritt in Richtung Integration und friedliches Zusammenleben gemacht.
Mitgliedschaft in lokalen politischen Parteien
Durch eine aktive Mitgliedschaft in lokalen politischen Parteien, wären wir hinsichtlich politischer Ereignisse nicht nur auf dem neuesten Stand, sondern hätten auch anstatt uns dauernd über die Entwicklung dieser politischen Zustände zu beschweren auch einmal die Chance, direkt an der Front Ideen und Lösungsvorschläge einzubringen.
Die Wahl, in welcher Partei einer mitmachen möchte, sollte jedem selbst überlassen sein. Denn Politik ist nicht Islam und Islam ist nicht Politik. Deswegen sollte jede Partei in Frage kommen, je nachdem, welche den politischen Überzeugungen eines jeden entspricht. Denn nur wer aus Überzeugung spricht und seine Überzeugungen mit den Überzeugungen der Gruppe vereinen kann, kann auch produktive Ideen liefern.
Tatsache ist auch, dass die wahren Interessen der Muslime kaum in der Schweizer Politik noch in den Medien vertreten werden und somit nur ?Interessantes?, islamisch Unkorrektes, Grausames über Muslime, wie die Verbindung des Islam mit dem Terrorismus, präsent ist. Deswegen sollten wir uns statt faul zu sein und uns nur über Entscheidungen zu beschweren, auch einmal in das politische Geschehen, zumindest im lokalen Raum, einmischen. Denn wenn keiner dabei ist, um die wahren Interessen des Islam zu vertreten, kann von ?muslimischer? und nichtmuslimischer Seite der Islam für Machtzwecke missbraucht werden. Das Resultat sind dann Missverständnisse und daraus folgende Vorurteile, die wiederum zum Beispiel zu fatalen Fehlurteilen, die vom Grossteil der Schweizer Bevölkerung gefällt werden (Minarettinitiative!) führen.
Schon nur die Präsenz der Muslime in den lokalen politischen Parteien würde zeigen, dass Muslime ihre Anliegen auf zivilisierte Art ausdrücken können. Anstrebenswert wäre hierbei eine Plattform, in der friedfertige Diskussionen geführt, Spannungen auf eine professionelle Art abgebaut und auch die friedfertigen Absichten der Muslime auf eine verständliche Art der Öffentlichkeit präsentiert werden.