?Das Volk hat gesprochen, die Sache ist erledigt.? Wer noch etwas zu sagen hat, gilt als schlechter Verlierer. Ich habe noch drei Dinge zu sagen und tue dies als Staatsbürger eines demokratischen Rechtsstaates, der seit Jahrzehnten mit der Situation verschiedenster sprachlicher, kultureller, religiöser, ethnischer Minderheiten in der Schweiz vertraut ist.
Das Erste: Es ist der Rechtsstaat, welcher die Demokratie, und damit gleiches Recht für alle schafft und garantiert. Ich bin davon ausgegangen, dass dieser Grundwert schweizerischer und europäischer Wertordnung für die Mehrheit in unserem Lande auch in bewegten Zeiten feststehe. Darin habe ich mich getäuscht. Die Abstimmung hat gezeigt: Im Zweifelsfall ist eine satte Mehrheit bereit, ein Menschen- und Verfassungsrecht über Bord zu kippen, wenn es um eine ?ungeliebte? Minderheit geht. Ein Rechtsstaat wie die Schweiz kann nicht über die Verletzung dieser Grundwerte hinweggehen. Schiller schrieb: ?Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären.? Natürlich höre ich sogleich den Aufschrei: ?Schlechter Demokrat! Das war der Entscheid des Volkes und keine böse Tat!? Nur eine Diskriminierung. Nur das Ritzen eines Menschenrechts. Ich bleibe dabei: Diese Tat wird ?fortzeugend? weiter Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen aus sich heraussetzen. Konkret: weitere Volksinitiativen gegen Rechte ausgewählter Minderheiten ? und wer möchte leugnen, dass die entsprechenden Schiffe schon von Stapel gelaufen sind? Zum Fortzeugen gehört auch das Verspotten, Lächerlichmachen und Diffamieren von Andersdenkenden, das in der Schweiz heute Urständ feiert, das Klima vergiftet und am klaren Nachdenken und Entscheiden hindert. Es stärkt weder den Rechtsstaat Schweiz noch die Gewaltentrennung, wenn man Richter und Staatsrechtsprofessoren diffamiert und ihnen unterstellt, sie wollen immer mehr politische Macht an sich reissen. Das Gegenteil ist der Fall: Politiker, Chefredaktoren und Leserbriefschreiber, welche sich für schrankenloses Entscheidungsrecht des Volkes stark machen, zerstören die Grundlage des Rechtsstaates.
Also: Wie weiter? Die rechtsstaatliche ? und das heisst in diesem Falle eine an Menschen- und Verfassungsrecht gemessene - Überprüfung von Volksinitiativen ist in jedem Falle vorzunehmen, am besten vor dem Sammeln von Unterschriften.
Das Zweite: Vor und nach der Abstimmung sagten Verfechter der Initiative, es gehe gar nicht um das Minarettverbot. Es gehe um ein Halt! gegen die Gewalt des Islamismus, gegen mangelnde Integration von Muslimen, die sich in Zwangsheiraten, Klitorisbeschneidungen, Unterdrückung der Frau und insgesamt in einer schleichenden Islamisierung und Einführung der Scharia zeige. Es wurde von diffusen Ängsten gesprochen, die sich noch mit andern Ängsten - Arbeitslosigkeit, Einwanderung, Finanzkrise etc. - verbunden hätten. Nicht diffus war für mich der Herr im Haus-Standpunkt mancher SchweizerInnen, die es den andern einmal zeigen wollten. Wenn die Fremden einmal da sind, sollen sie sich anpassen, nicht auffallen und keine Extrawürste wie Minarette wollen. Immer wieder wurde betont, es sei keine Spur von Fremdenfeindlichkeit vorhanden, und doch war alles geprägt von der Haltung: Am besten wäre es, wenn möglichst viele nicht hier wären, weil sie anders sind, auffallen und stören. Keine Spur von Fremdenfeindlichkeit? Was ist es denn? Sigi Feigel, in solchen Zusammenhängen ein unverdächtiger Zeuge, pflegte zu sagen: Wo es um Fremdenfeindlichkeit geht, sind immer die Juden die ersten Sündenböcke. Aber dann kommen alle andern Minderheiten dran. Ich habe den Eindruck: Heute kommen zuerst die Muslime dran, dann die andern. Prompt hat sich das beim ominösen Ausspruch von Herrn Darbelley gezeigt: Keine muslimischen, aber auch keine neuen jüdischen Friedhöfe. Keine Spur von Fremdenfeindlichkeit? Für alle Einwanderer, die sich hier integrieren und als Teil unseres Landes fühlen sollen, ist fundamental, dass sie sich hier ?zugehörig? fühlen können. Das ist die lebensmässige Basis der Integration. Muslimische EinwanderInnen machen aber häufig Erfahrungen, die ihnen zeigen: So wie ihr seid, seid ihr nicht recht. Das, was ihr möchtet, kommt nicht in Frage. Ein Kopftuch tragen? Bekenntnis zur Unterdrückung der Frau, zum Islamismus. Ein Minarett? Machtsymbol und nicht akzeptabel im Ortsbild. Aus- oder Weiterbildung von Imamen in der Schweiz? Förderung von Extremisten mit unsern Steuergeldern. Grabfelder für Muslime? Tot ist tot. Keine Exrawurst. Solche Erfahrungen sind kein Beitrag zur Förderung des Zusammenlebens in einer pluralistischen Gesellschaft, die wir nun einmal sind. Verhängnisvoll sind sie vor allem für Angehörige der zweiten und dritten Generation. Frankreich und England bieten hier genügend Anschaungsunterricht.
Also: Was tun? Erfahrungen ermöglichen, die Muslimen zeigen: Wir sind angekommen, wir gehören dazu. Das heisst für mich z.B.: Aufnehmen des Wunsches nach Grabfeldern für Muslime. Ich habe aus der Nähe erlebt, wie solche Verhandlungen für Muslime und Behörden Vertrauen und Verständnis schaffen. Auch Muslime und Musliminnen unter uns werden ja einmal sterben. Viele, nicht alle, möchten nach dem Ritus ihrer Religion bestattet werden. Was stört uns, wenn die Gräber nach Osten ausgerichtet sind? Ich unterstütze auch den Wunsch nach Aus- und Weiterbildung der Imame in der Schweiz. MuslimInnen wünschen sich von ihren Imamen Unterstützung auf dem schwierigen Weg der Integration in der Schweiz. Aber wie soll diese möglich sein, wenn der Imam nur für drei Jahre hier ist, die Landessprache nicht spricht und selber keine Gelegenheit zur Inkulturation, zum Vertrautwerden mit unseren Verhältnissen hatte?
Das Dritte: Da gibt es noch die Themen, die im Abstimmungskampf die Hauptrolle spielten: Zwangsheirat, Ehrenmorde, Klitorisbeschneidung, Ghettobildung, Unterdrückung der Frau, Hasspredigten in der Moschee, Dispensation in der Schule etc. So wie ich die Verhältnisse kenne, kommen diese Dinge in der Schweiz zwar vor, allerdings lediglich bei einer äusserst kleinen Minderheit. Die Schlagworte des Abstimmungskampfes haben gezeigt, dass hier ein Informationsnotstand herrscht.
Also: Was ist zu tun? Bei der Diskusson, die in den letzten Wochen immer wieder angemahnt wurde, kann es nicht um Schuldbekenntnisse und Sippenhaftung der Muslime gehen. Wichtig ist, dass Fakten zu jedem Thema auf den Tisch kommen gemäss der Linie: Reale Situation in der Schweiz ? kultureller Hintergrund ? Rechtslage ? Wer ist zum Handeln verpflichtet? Da braucht es Zusammenarbeit von Organisationen der Muslime, Amtsstellen, zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und Medien. Wenn so Klarheit geschaffen wird, können Realität und Feindbilder unterschieden werden.
Das Volk hat gesprochen, die Sache ist nicht erledigt.