Soziale Dimension ?Wer in diesem Monat einem Fastenden das Fastenbrechen ermöglicht, sei es nur mit einer Dattel oder einem Schluck Wasser, dessen Sünden werden ihm vergeben, und er wird vor der Hölle (Dschahannam) beschützt. Zudem erhält er so viel Belohnung wie der Fastenbrechende, wobei diesem nicht der Lohn geschmälert wird.? Dieser Hadith des Propheten Muhammad (s.a.w.), von den Muslimen beherzigt, drückt die dem Islam einzigartig innewohnende Spiritualität aus, in der selbst ?profan? erscheinende Handlungen und soziale Angelegenheiten eine Form des Gottesdienstes darstellen. Der Fastenmonat Ramadan gibt hierfür einige gute Beispiele. Jeder Moslem lädt, je nach Möglichkeit, seine Verwandten, Nachbahren und Bekannte zum Fastenbrechen (Iftar) ein und wird wiederum auch eingeladen. Man sucht in diesem Monat mehr denn sonst die Gemeinschaft und übt Geschwisterlichkeit, denn der Prophet Muhammad (s.a.w) sagt: ?Esst zusammen und trennt euch nicht voneinander, denn die Baraka (Segen) liegt in der Gemeinschaft.?
Das Fasten öffnet Türen zu einer sozialeren und rücksichtsvolleren Gemeinschaft. Denn der Ramadan lässt den Menschen an seinem eigenen Körper erfahren, auch wenn nur für einige Stunden, was der Wert der uns von Gott gegebenen Nahrung ist. Mit der Einwanderung in die Schweiz, ist auch diese Institution in die Schweiz immigriert, was einen Profit wie auch eine Bereicherung für dieses Land darstellt. In den meisten Moscheen werden täglich Iftar-Essen gegeben, gespendet von wohlhabenden Muslimen an Bedürftige, Reisende und sonstige Freunde und Bekannte. Die Muslime können damit wesentlich dazu beitragen, dass Fürsorge wieder als Aufgabe des Bürgers verstanden wird und nicht dem Staat überlassen wird. Diese Nächstenliebe die von einigen vielleicht nur als eine Ramadan Tradition gepflegt wird, ist in Wahrheit aber weit mehr als das. Es ist eine grosse Gelegenheit für die Muslime, falls sie im Bewusstsein und in der Absicht hochgehalten wird, Allah (s.w.t) näher zu kommen. Denn ein Hadith vom Propheten (s.a.w) besagt: "Nur wer den Iman (Glauben) hat, kommt in das Paradies und den aufrichtigen Iman hat man nur dann, wenn man seinen Glaubensbruder liebt.?
In diesem Monat sind die Gläubigen viel gütiger und grosszügiger im Geben. Sie versuchen jede Gelegenheit zu nutzen, um wohltätige und uneigennützige Taten zu vollbringen. Es ist die Pflicht jedes gläubigen Muslims, ob reich oder nicht, einmal im Jahr, nämlich im Monat Ramadan, eine Spende, Sadaka-i Fitr genannt, zu geben. Diese kleine Spende gibt man armen Muslimen, so dass sie sich einen Tag davon ernähren können. Die Pflicht des wohlhabenden Muslims ist es, zusätzlich zu Sadaka-i Fitr, den vierzigsten Teil seines Vermögens an bedürftige Muslime abzugeben, diese nennt man Zakat (Armensteuer). Für diese Gabe ist keine genaue Zeit bestimmt, jedoch bemühen sich die meisten, es im Monat Ramadan zu geben, weil in diesem Zeitfenster Allah (s.w.t) alle Wohltaten siebzigfach belohnt. Auch diese Institution des Islam ist ein grosser Gewinn für die Schweiz, denn sowohl die Zakat an Bedürftige in der Schweiz, wie auch ins Ausland, stehen voll und ganz in der humanitären Tradition der Schweiz. Der Islam will mit dieser Armensteuer gegen die Spaltung der Gesellschaft vorgehen und lässt die Reichen in der Fastenzeit einen Einblick in die Probleme der Armen nehmen. Wirtschaftliche Unterschiede zwischen den Menschen verlieren somit an Bedeutung. Es ist, nebst dem Glaubensbekenntnis an das Schicksal, diesen religiösen Institutionen zu verdanken, dass so etwas wie der Klassenkampf nicht in den islamischen Ländern entstanden ist.
Das Ende des Ramadan stellt das Ramadanfest (Eid-ul-Fitr) dar, das an den letzten Fastentag anschliesst. Dieses Fest ist einerseits ein Ausdruck der Freude, den Ramadan erlebt zu haben, und andererseits ein Höhepunkt der gemeinschaftlichen Verbundenheit. Nach dem Festtagsgebet am Morgen des ersten Tages beginnt eine Zeit der Warmherzigkeit, in der sich alle Familienmitglieder und Freunde gratulieren, einander besuchen und sich jeder zum Ziel setzt, aus Feinden und Zerstrittenen wieder Freunde zu machen. Nach dem Ramadan sollen alle Unstimmigkeiten ausgeräumt und Frieden und Freundschaft eingekehrt sein. Eine zusätzliche Institution der ?Friedens- und Harmonieförderung?, schadet zweifelsohne keiner Gesellschaft.
Innere Dimension ?Was, ihr dürft auch nicht trinken?? Das ist die überraschte Reaktion auf die Frage an uns Muslime, wie der Ramadan funktioniere. Der Ramadan wird im öffentlichen Raum und in den Medien meist nur in diesem Rahmen diskutiert: Nichts essen, nichts trinken, nichts rauchen und keine Befriedigung sexueller Bedürfnisse während des Tages. Dies ist verständlich, da aus einer, nur das oberflächliche Äussere berührenden Sicht ? nicht negativ gemeint sondern im wahren Sinne des Wortes ? nur materiell fassbare und sichtbare Aspekte einer Sache erkundet werden können. Dieser Abschnitt versucht deshalb die innere und damit die eigentliche Bedeutung des Fastenmonats Ramadans aufzuzeigen.
Die Religion ist eine Lebensweise, dessen Regeln man aus Überzeugung einhält. Diese Regeln jedoch, sind nicht zu einem Selbstzweck da, sondern haben eine spirituelle Dimension und sind die logische Konsequenz eines erkannten Sinnes. Diese Seite des Glaubens wird einem nicht durch Fragen oder Lesen offenbar, sondern man muss sie (die Seite) erleben. Auch der Ramadan hat eine äussere, ?geregelte? Seite und eine innere ?gefühlte? ? man könnte sogar sagen "gefüllte" ? Seite. Die Grundregeln sind lediglich ein Einstieg in ein anderes Bewusstsein und eine Empfindung, wie sie nur dem fastenden Muslim zuteil werden. Ein gläubiger Muslim ist immer in Kampf mit dem negativen Ich, dem Nafs. Vielfach wird dieser Begriff als Ego übersetzt. Dieses Ego ist es, welches die Menschen hindert, Geistiges zu fühlen ? nicht sentimentales Empfinden, sondern in einer gewissen Weise zu erleben. Dieses Fühlen, ist dem modernen Menschen fast gänzlich abhanden gekommen. Der Muslim weiss aber, dass er eine solche geistige Ebene erreichen vermag, wo die Liebe zu Allah zuoberst steht. Und weil alles die Schöpfung Allahs ist und "Sein Antlitz" für den Sehenden widerspiegelt, wird auch die Schöpfung bedingungslos akzeptiert, respektiert und geliebt. ?Wir lieben das Erschaffene, des Erschaffers wegen? sagte einmal Yunus Emre, ein türkischer Dichter und Mystiker. Um eine solche Wahrnehmungsebene erreichen zu können, stellt der Ramadan das effektivste Mittel dar. Der Fastende ist sich bewusst, dass das Fasten an sich erfüllt ist, wenn er die oben genannten Enthaltsamkeiten einhält. Imam Ghazali sagt aber: ?Der Geist und das Geheimnis des Fastens ist die Schwächung jener Kräfte, die Schaitans (Teufel) Mittel sind, um zurück zum Üblen zu führen.? Der Fastende also, der somit sein Ego kontrollieren und nicht nur einfach fasten will, wird Sünden aus dem Weg gehen. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte hierzu: ?Das Fasten ist ein Schild. Wer fastet, sollte keine üble oder dumme Rede führen. Wenn er angegriffen oder beleidigt wird, soll er antworten: ?Ich faste, ich faste!? Sind einmal Schaitans Kräfte geschwächt und hat man einmal die Oberhand im Kampf mit seinem Nafs, so öffnet sich erst jetzt der Weg der Erkenntnis. Anders ausgedrückt, man hat die Möglichkeit, um auf höhere Dimensionen der Wahrnehmung zu gelangen. Dass der Anfang dieses Weges der Kampf ist, bestätigen alle, die den Weg gegangen sind (z.B. siehe hierzu Imam Ghazalis "Elixier der Glückseligkeit"). Dieser Kampf aber sollte im Alltag geführt werden, denn nach dem Ramadan bleiben dies die Herausforderungen, denen sich der Gläubige stellt. Irgendwann wird dem Gläubigen in seinem Streben, wenn er denn auch ehrlich die Liebe Allahs erlangen will, diese Liebe Inshallah zuteil. Dies wiederum wird er spüren. Er wird merken, dass sein Inneres wächst. Ist der Ramadan vorbei, wird er dieses Gefühl so sehr vermissen, dass er den nächsten Ramadan sich sehnlichst herbeiwünscht. Es gibt Menschen, die dieses Gefühl aber nicht verlieren und auf den Ramadan warten, um nach noch unbekannteren Dimensionen vorzustossen. Der Fastenmonat Ramadan ist jedoch nicht nur eine Sache für eine geistige Elite. Auch Menschen, welche die Gebote der Religion sonst kaum einhalten, fasten im Monat Ramadan. Auch sie spüren die reinigende Kraft, die der Fastenmonat auf sie ausübt. Alkoholiker hören sogar für einen Monat auf zu trinken, damit auch ihnen ein Teil dieser göttlichen Liebe zuteil wird. Für einen Aussenstehenden mag der Gedanke auf das Essen für einen Tag zu verzichten vielleicht annehmbar zu sein, der Verzicht auf Wasser setzt ihn vielleicht in Erstaunen, aber die Tatsache, dass selbst Süchtige ihre Sucht aufgeben können, sollte den Aussenstehenden überzeugen, dass der Ramadan mehr ist, als was uns die Medien weis machen wollen.
Der Fastenmonat Ramadan erreicht seinen Höhepunkt in den letzten zehn Tagen. Denn irgendwo hier ist die Qadr Nacht zu erleben. ?Siehe, wir haben ihn [den Qur?an] in der Nacht al-Qadr hinabgesandt. Und was lässt dich wissen, was die Nacht al-Qadr ist? Die Nacht al-Qadr ist besser als tausend Monde. Hinab steigen die Engel und der Geist (Gabriel) in ihr mit ihres Herrn Erlaubnis zu jeglichem Geheiß. Frieden ist sie bis zum Aufgang der Morgenröte.? (Surat al-Qadr, 97) Man weiss nicht genau wann diese Nacht ist. Sie wird im letzten Drittel und hier in der 27. Nacht des Ramadans vermutet. So genau kann das niemand sagen. Das korrekte Datum ist ein Geheimnis, bei Allah verborgen. Die Sura wurde hinabgesandt, als der Prophet seiner Gemeinde die Geschichte von Samsun erzählte, der Allah 2000 Monate gedient hatte. Die Gemeinde war traurig, denn so lange konnte keiner mehr am Leben zu bleiben. Also konnte auch keiner Allah so lange dienen. Doch mit dieser Nacht bekamen die Gläubigen die Gelegenheit, ihre Gebete zu intensivieren. Denn diese Nacht war besser als 1000 Monate. Als eine Sunnah des Propheten wird auch das Ittikaf-Gebet vollzogen. Dies bedeutet, dass der Fastende sich gegen den Schluss des Monats Ramadan (in eine Moschee) zurückzieht und alle weltlichen Dinge auf das Nötigste reduziert. So ist er nun allein mit seinem Nafs, das (Ego) er zähmt. Auch nutzt er die Gelegenheit, um sich Allah näher zu bringen. Dieser Gläubige ?sucht? die Nacht der Qadr.
Diese Erfahrungen des Ramadans sind überall auf der Welt die gleichen. Auch in der Schweiz gibt es eine grosse Zahl der Muslime die fasten. Obwohl das Ittikaf-Gebet hierzulande recht selten ist, füllen sich die Moscheen zur Qadr Nacht. Viele Muslime würden ähnliches bezüglich geistiger Erfahrungen während des Fastens berichten. Jedoch ist das Interesse gross, den Ramadan in eingangs erwähnten äusseren Rahmen zu zwängen. Es ist auch kein Wunder, dass auf diese Weise Nicht-Muslime den Muslim nie verstehen werden. Wieso sonst sollte der Tages Anzeiger in dem Interview mit dem jungen Muslim, den Aspekt der Seele öfter als nur einmal im Text und zum Schluss noch in einem einzigen Satz erwähnen?