In ihrer März-Ausgabe, berichtete die Zürcher Studierendenzeitung ZS über evangelikale Freikirchler, welche in die Zürcher pädagogische Hochschule stürmen würden. Man befürchtet, dass diese später in den Schulen missionieren. Davon berichteten diverse Zeitungen, so auch die NZZ. Das Thema betrifft uns Muslime aus zweierlei Gründen: Einerseits schicken die Muslime ihre Kinder hier in die Schule und diese können von missionarisch motivierten Lehrpersonen unterrichtet werden. Anderseits ergreifen auch Muslime den Lehrerberuf und sind oft von vorne herein diesem Verdacht ausgesetzt. Dies umso mehr, wenn man davon ausgeht, dass die Zahl muslimischer Lehrkräfte, absolut betrachtet, in Zukunft steigen wird.
Es ist in der Tat ein Problem, wenn Lehrer die ihnen anvertrauten Schüler auf verdeckte oder dezidierte Weise zu missionieren versuchen. So berichtet der NZZ-Artikel, dass angehende Lehrer die Absicht geäussert hätten, ihren Schülern das Alphabet nur mit biblischen Wörtern beizubringen oder nur biblische Geschichten zu erzählen. Angehörigen anderer Religionen oder Agnostikern wird dies wahrscheinlich nicht wirklich gefallen. Wir selber haben in der Primarschule viele biblischen Geschichten erzählt bekommen, ?christliche? Lieder gesungen und ?religiöse? Zeichnungen gemacht. Dies alles ausserhalb des freiwilligen christlichen Religionsunterrichts oder der Weihnachtszeit. Dies war möglich, wie der Artikel schreibt, weil die Lehrer relativ viel Spielraum haben ihren Unterricht ausserhalb der Kernfächer zu gestalten. Die muslimischen Eltern hatten bis jetzt diese Situation so hingenommen und nicht kollektiv das Gespräch mit den Schulbehörden gesucht. Die Muslime sollten sich unserer Meinung nach schon längst in die Bildungssystemdebatte einbringen und dort sowohl zu diesem Thema wie auch zu anderen Themen gemeinsam Position beziehen. Falls sie missionarische Aktivitäten im Klassenzimmer vermuten, so sollten sie dies umgehend melden. Religiöse Bildung ? und auch deren Fehlen - ist für die Kinder prägend und deshalb sehr wichtig für Muslime. Daher ist es unserer Meinung nach bedenklich, wenn muslimische Primarschüler von extrem christlich motivierten Lehrern in der Schule in der Weihnachtszeit vermittelt überkommen, dass das kleine niedliche Kind in der Krippe Gott oder Gottes Sohn sei. Dieser Punkt stellt den grössten Kontrast zur islamischen Glaubenslehre dar.
Was zukünftige muslimische Lehrpersonen betrifft, so befürchten wir, dass die gleiche Debatte, welche aktuell über die evangelikalen Freichkirchler geführt wird, auf die Muslime gerichtet wird. Auch wenn Indizien für missionarische Aktivitäten nicht vorhanden sind, reicht die Tatsache, dass sie praktizierende Muslime sind, um eine mediale Kampagne zu lancieren. Eine schon heute hitzig debattierte Frage ist das Kopftuch für Lehrerinnen. Deshalb soll hier auf einige Punkte eingegangen werden. Bei der Kopftuchdebatte sind unserer Meinung nach die Argumente, es sei ein politisches Symbol oder eines für die Unterdrückung der Frau, aus der Luft gegriffene Scheinargumente. Die bekannten Gerichtsfälle in Deutschland diesbezüglich zeigen ein anderes Bild: Selbstbewusste, frei dem Islam beigetretene, emanzipierte Frauen, die gewiss keine politische Agenda führen. Man kann natürlich auch andere Gründe geltend machen wie z.B. die konfessionelle Neutralität der Schulen. Dies müsste dann aber nicht ein Lippenbekenntnis bleiben, sondern auch konsequent für alle Konfessionen gelten. Bezüglich den Befürchtungen versteckten Missionierens ist unseres Erachtens nach eine Person vorzuziehen, welcher man dem Äusseren nach ihre Religionszugehörigkeit ansieht, die sich aber an ihren Lehrauftrag ohne Missionsauftrag hält, als ein scheinbar sich weltanschaulich ?neutral? gebender Missionar.
Nebst der Tatsache, dass der Islam seinen Anhängern keinen "Missionierungsauftrag" im christlichen Sinne auferlegt, hält sich der Muslim an eines der zentralen qur?anischen Gebote, seine Verträge einzuhalten. Dieses ist auf die Situation einer Lehrperson anwendbar, die ja nichts anderes als ein Vertragsverhältnis darstellt. Auch der Unterricht von Fächern wie, Evolutionstheorie oder Sexualkunde, sollte für Muslime kein Problem darstellen. Auch wenn das vermittelte Wissen nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmen mag, so weiss ein Muslim auch hier, dass er durch den Qur?an strikt aufgefordert ist, seine Verträge zu halten und dies gegenüber jedem, was das Beispiel des Propheten Muhammad (saw) zeigt.
In einem zweiten Artikel weitete die NZZ am Sonntag diese Debatte auf den Religionsunterricht in der Primarschule aus. Uns Muslimen muss bewusst sein, dass die Spannungen um das Fach Religion keinesfalls neu sind, sondern vor dem Hintergrund der massiven weltanschaulichen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts zu verstehen sind, wo es darum ging, ?ob die Schule der Kirche Vorhalle oder Stätte der moralischen Festigung republikanischer Staatsgrundsätze sein solle?. Heute haben sich die Dinge gewandelt, man hat nicht mehr ganz die gleichen Ansichten wie vor hundert Jahren und auch nicht dieselben Bedürfnisse. Einerseits hat der christliche Religionsunterricht für viele nicht mehr die Bedeutung die er einmal hatte, sondern vielmehr wird er als eine Art Einweisung in die christliche gesellschaftliche-Kultur(geschichte) verstanden. Andererseits sind durch die Emigranten mehrere Minderheiten entstanden, die ihrerseits eigene religiöse Bedürfnisse haben. Die Situation ist somit komplexer geworden. Diese neue Situation muss die Grundlage für die Beurteilung des Faches Religion sein und nicht althergebrachte Vorstellungen der Behörden, die nicht die gesellschaftliche Realität abbilden. Auf jeden Fall ist eine neue Strukturierung schon lange überfällig. Dabei sollte einer der Hauptgedanken unseres Erachtens sein, sich gegenseitig besser kennen zu lernen, denn nur dadurch können Distanzen überbrückt und allfällige Ängste und Vorurteile gegenüber Andersgläubige beseitigt werden. Ungewissen und Unwissen sind ein perfekter Nährboden für populistische Kreise die das ausnutzen, um Ängste für irgendwelche gesellschaftspolitischen Ziele zu schüren. In der heutigen Situation ist es wichtig zu wissen, was für den anderen von Bedeutung ist, bei welchen Themen er sensibel reagiert. Es muss schlussendlich um gegenseitige Akzeptanz gehen. Das ist eine Voraussetzung, dass verschiedene Gemeinschaften nicht aneinander vorbei leben, sondern stattdessen ein gemeinsames Miteinander erreichen.
Aus diesen Gründen ist für uns das Thema Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen so wesentlich. Den Muslimen ist bewusst, dass sie hier in einer von christlichen Traditionen geprägten Gesellschaft leben und daher sollte es für sie annehmbar sein, dass sowohl in den Schulen wie auch in der Gesellschaft gewisse christliche Traditionen gepflegt werden. Doch die Muslime können auch erwarten, dass die nichtmuslimische Mehrheit akzeptiert, dass auch sie ihre islamische Tradition weiter pflegen wollen.
Der schulische Religionsunterricht für Muslime wird einerseits den Muslimen ihren berechtigten Wunsch in ihren religiösen Lehren unterrichtet zu werden erfüllen, andererseits stellt er eine wichtige und in manchen Fällen sogar die einzige Gelegenheit dar, sich auf so nahe und ehrliche Art kennen zu lernen. Nach der Schule wird man vielleicht diese Möglichkeit nie wieder haben. Als Erwachsene verbleiben dann viele in ihren festgefahrenen Denkweisen gegenüber ?dem Anderen?, den man nie hat kennenlernen können oder wollen. Die in vielen Schulen eingeführten ?Ethik-Fächer? im Form von ?teaching about religion? statt ?teaching in religion? haben zwar auch das Ziel den Schülern die verschiedenen Religionen vorzustellen, doch wird es in der momentanen Situation für die Muslime, welche keinen eigenen schulischen Religionsunterricht haben, wieder mal bei einem Diskutieren ÜBER die Muslime durch Nicht-Muslime bleiben. Damit, wie in den NZZ-Artikeln gefordert, keine Indoktrination stattfindet ? und sei sie auch von atheistisch oder agnostisch ausgerichteten Lehrpersonen, sollte den Schülern die Möglichkeit gegeben werden, wie sie den Christen gegeben wird, in einem muslimischen Religionsunterricht die islamische Sichtweise zu erfahren. Sonst könnte es z.B. vorkommen, dass die nicht-muslimischen Lehrer ihren Schülern weismachen wollen, dass das Fasten im Ramadhan zwar etwas Gutes sei, aber in einer Industriegesellschaft nicht praktizierbar und überdies gesundheitsschädlich wäre ? quod non demonstratum est!
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