Replik zu Elham Maneas «Ich will nicht mehr schweigen. Der Islam, der Westen und die Menschenrechte» Brüder KITABI
In einem am 6. April in der Tageszeitung Die Südostschweiz verfassten Artikel über Elham Manea und ihr kürzlich erschienenes Buch «Ich will nicht mehr schweigen. Der Islam, der Westen und die Menschenrechte» legt die Autorin des Buches ihre Vision eines ?humanistischen Islams? dar. Anlass zu einem Kommentar dazu gaben unzählige unhaltbare Aussagen Maneas aus muslimischer Sicht. Hier soll aber lediglich auf den erheblichsten Irrtum von Manea bezüglich des Wesens des Qur?ans eingegangen werden. Zum Schluss werden wir kurz ihre Haltung gegenüber den Muslimen in der Schweiz kommentieren.
Das Wesen des Qur?ans Manea stellt in diesem Artikel die Behauptung auf: «Es fällt uns [Muslimen] schwer, die göttliche von der menschlichen Dimension des Korans zu unterscheiden.» Diese Aussage lässt den Anschein entstehen, unter den Muslimen wäre eine solche Debatte vorhanden. Tatsächlich gab es aber in der ganzen Geschichte der muslimischen Völker nie einen Zweifel über den göttlichen Ursprung des Qur?ans und dies ist bis heute der Fall. Die im Westen durch starke Medienpräsenz verbreiteten unorthodoxen ? um einen christlichen Begriff auszuleihen - Meinung von einzelnen Individuen und Randgruppen, wie diejenige von Manea, ändern an dieser Tatsache nichts.
Die Muslime geben dem Konzept der Offenbarung eine sehr spezielle Bedeutung, welche eine ganz andere ist als diejenige einer Inspiration (womit beispielsweise die Christen ihr Neues Testament bezeichnen). Gott schickt uns von Seinem Schatz etwas Seiner Weisheit, um die Menschheit zu informieren und zu führen, welche sonst gleichsam blinden Kreaturen auf der Erde herumwandern würden. Die Wörter, in welchen diese Offenbarung ihre Form annimmt, unterliegen nicht menschlicher Wahl, sie sind Gottes Wahl. Selbst die Sprache des Buches ist Teil der Offenbarung und kann nicht von ihr separiert werden. Deshalb ist eine Übersetzung, zwar nützlich und nötig, nicht der Qur?an. Für uns Muslime ist deshalb dieses Buch im wahrsten Sinne des Wortes göttliche Rede. Darin ist jedes Wort exakt was es sein muss und kann niemals durch ein anderes Wort ersetzt werden. Was bedeutet, dass das Unendliche ein Ausdrucksmittel in den Beschränkungen des Endlichen findet. Es heisst, dass jeder Vers ? und sogar jedes Wort ? eine Varietät von Bedeutungen auf verschiedenen Ebenen des Verstehens hat. Es ist die besondere Natur der arabischen Sprache, welches dies möglich macht.
Dies führt uns zu einer Frage, welche den Muslimen im Westen oft gestellt wird und aus den Ansichten von Elham Manea herausgelesen werden kann: Warum gibt es keine ?historische Kritik? des Qur?ans, wie es eine der Bibel gibt? Hier scheint uns jedoch ein einfaches Missverständnis vorzuliegen. Die Bibel besteht aus verschiedenen Teilen, welche über mehrere Jahrhunderte zusammengetragen wurden. Es ist möglich Zweifel an einem Teil zu haben, ohne den Rest zu bestreiten. Aber der Qur?an ist eine einzige Offenbarung, die nur durch einen Mann empfangen wurde. Entweder man akzeptiert den Qur?an für was er zu sein behauptet, dann ist man ein Moslem, oder man lehnt seinen Anspruch ab und stellt sich ausserhalb der Gemeinde des Islams.
Manea fragt sich im Zusammenhang mit der göttlichen Natur des Qur?ans weiter: «Denn wie können Gebote, die im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel entstanden sind, universelle und zeitlose Gültigkeit haben?» Diese Frage wird uns Muslimen ebenfalls oft von den Nicht-Muslimen gestellt. Auch wird gefragt, warum wir denn zögern, den Qur?an den Bedürfnissen der Moderne ?anzupassen?, was von Manea energisch gefordert wird. Nun, das Buch selber beantwortet diese Frage: ?Unabänderlich sind Gottes Worte? (Qur?an 10:64). Die Tatsache, dass er im siebten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung ?herab gesandt wurde?, und nicht im einundzwanzigsten, ist irrelevant. Ein englisches Sprichwort sagt:? You do not wear down a diamond by constant handling? und das Vergehen der Jahrhunderte kann nicht die Worte Gottes erodieren. Der Akt ? die Offenbarung ? ist in der Zeit lokalisiert, aber sie selbst ist zeitlos. Die islamische Theologie definierte schon immer die Essenz des Qur?ans als ?ungeschaffen? und deshalb ewig.
Was die Universalität des Islams betrifft, muss zuerst einmal festgehalten werden, dass der Islam nie behauptet hat eine ?neue? Religion zu sein, in dem Sinne wie die meisten von uns den Ausdruck verstehen würden. Im Gegenteil, er präsentiert sich als eine Restauration und ?Wieder-Formulierung? der ?Din-ul-Fitrah?: der beständigen Religion der Menschen, die ewige Wahrheit, die unseren Vorfahren immer und immer wieder in Erinnerung gebracht werden musste. In der Tat, beginnt dieser Prozess der Offenbarung ? ?Erinnerung oder Mahnung? -, wo wir begonnen haben. Weiter behauptet der Islam auch nicht einmalig zu sein, er behauptet aber abschliessend zu sein und deshalb die Zusammenfassung von all dem was vor ihm kam. Nach ihm werden keine ?Rettungsseile? mehr zu der "strampelnden" Menschheit heruntergelassen. Deshalb muss diese eine akribisch genau in ihrer makellosen Reinheit bewahrt werden: ? Unabänderlich sind Gottes Worte?.
Das also bedeutet, dass der Grundstein des Islams, der Qur?an, eine universelle Relevanz haben muss. Er muss geistige Nahrung bieten, sowohl den Weisen und den Törichten, wie auch dem hoch entwickelten Auffassungsver¬mögen und dem einfachen Gemüt. Und das tut er auch, und hat er auch immer getan, wie die Geschichte unseres Glaubens beweist. Es ist die Wirkungskraft dieser Worte ? ihre Rettungs- und Transformationskraft ? die für die meisten von uns den göttlichen Ursprung des Qur?ans demonstriert. Deshalb soll hier reichen zu sagen, dass wir als Muslime nicht fragen, wie wir das Buch unserem Leben in der heutigen Welt anpassen können ? oder mit Manea ausgedrückt den Islam der Moderne anzupassen -, sondern wie wir unser tägliches Leben dem Qur?an anpassen können. Das ist das eigentliche Problem.
Zu Maneas Unverständnis den Qur?an als das zu begreifen, als was er behauptet zu sein, muss gesagt werden, dass der Qur?an ein Buch ist, welches sich dem voreingenommenen oder wenig reflektierten Leser nicht immer erschliesst. Man muss die einzelnen Zeichen Gottes (die Ayats) in der Gesamtheit der Offenbarung und im Kontext der Offenbarungsumstände betrachten. Deshalb braucht es für das korrekte Verständnis des Korans ohne Zweifel auch die Sunnah unseres Propheten (saw) (Qur?an 3:31 und 33:21). Dieser hat den Qur?an durch den Erzengel Gabriel von Gott offenbart bekommen und kennt dessen Bedeutung am besten. Tendenzen, denen nahezustehen wir auch Manea und die Verfasserin des Zeitungsartikels vermuten, welche den Qur?an von der Sunnah isolieren wollen, sind grundsätzlich abzulehnen, weil dadurch ein wesentlicher Geist der Offenbarung verloren geht und der freien und spekulativen Interpretation der Menschen ungebührlicher, nämlich zu weiter Platz eingeräumt wird. Beispiele hierzu liefern die Geschichte der Theologie der Vorgängerreligionen des Islams, nämlich das Christen- und das Judentum.
Maneas Haltung gegenüber den Muslimen in der Schweiz Elham Manea proklamiert lautstark die Freiheit des Andersdenkens, doch scheinbar gilt dieses Prinzip nur für ihre Meinungen. Denn die Forderungen der hiesigen Muslime verwirft sie kurzerhand und stempelt sie als nicht rechtsstaatlich ab. Dies beweist auch ihre Stellungnahme zur Kopftuchfrage, wo sie die Glaubensweise Abermillionen von muslimischen Frauen in Europa respektlos missachtet und sie auch noch bevormundet, mit der Behauptung, die Kopftücher wären ihnen von ?Islamisten? eingetrichtert worden. Das ist eine nicht nur sehr wirklichkeitsfremde/unglaubhafte, sondern auch anmassende Äusserung im Europa des 21. Jahrhunderts. Weiter begründet sie ein Kopftuchverbot in der Schule damit, dass dies so nicht im Qur?an stünde. Doch hiermit widerspricht sie sich selbst, denn zu Beginn stellte sie noch überhaupt die Authentizität des Qur?ans in Frage, dann aber bezieht sie sich genau auf denselben Qur?an. Was bezweckt nun Manea mit dieser Willkür?
Um ihre Meinung zu bekräftigen bedient sie sich zudem der allgemein populären Drohung der Entstehung einer Parallelgesellschaft. Die Bedürfnisse von tausenden Muslimen werden somit als gefährliche Sonderwege, ja schlimmer noch, als eine Bedrohung der demokratischen Grundwerte der Schweiz abgestuft. Der Humanismus ist eine Weltanschauung, die sich an den Interessen, den Werten und der Würde des einzelnen Menschen orientiert. Toleranz und Gewissensfreiheit gelten als wichtige humanistische Prinzipien menschlichen Zusammenlebens. Doch Manea, die sich ihrer Meinung nach zu den humanistischen Prinzipien bekennt, tritt die Meinung anderer, seien sie nun richtig oder falsch interpretiert, mit Füssen.
Die Brüder Kitabi, Kommentare und Anregungen an simsalabim66@hotmail.com Die Darlegungen zum Qur?an sind zu einem grossen Teil den Reden von Charles le Gai Eaton entnommen.