Muhammad, der Gesandte Allahs - Segen und Friede Gottes sei auf ihm ? hat gesagt: ?Wahrlich, ihr seid alle Hirten, und jeder von euch ist verantwortlich für seine Herde...." [berichtet von Abdullah Ibn `Umar, Allahs Wohlgefallen auf ihm in Sahih Al-Bucharyy Nr. 7138]
Es wird heute über die ? tatsächliche sowie anzustrebende- innere Befindlichkeit von uns Menschen in der Welt einiges gesagt und viel darüber diskutiert. Menschen sollen z. B. (gleiche) Rechte haben, es soll ihnen ?Würde? zugestanden werden, nach ?Gerechtigkeit? wird gerufen und ?Freiheit? ist sozusagen höchstes Gut! Aber der Aspekt des ?Hirtentums?, des ?Hütens? unserer Selbst, unserer Mitmenschen sowie der Schöpfung kommt selten bis nie zur Sprache, es scheint ihm fast ein Hauch von ?Altertümlichkeit? anzuhaften, etwas, das für unsere aktuelle Situation als ?überkommen? empfunden werden soll.
Wie das? Ist es nicht unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen unseres ?Projekt Menschseins? mit allen darin enthaltenen Voraussetzungen und Erwartungen, dass wir unsere Eigenschaft als HÜTER alles uns Gegebenen wahrnehmen? Ist denn unsere Würde nicht überhaupt erst dann gesichert, Gerechtigkeit möglich, Freiheit von Gehalt, wenn wir zuerst verstehen, wie alles, worüber wir verfügen können, zu HÜTEN ist? Wenn wir über ein weitgehend blindes Denken in der Kategorie von ?Rechten? hinaus zuerst einmal bestrebt sind, alles Lebendige, sichtbare wie unsichtbare, in seiner grossen Reichhaltigkeit zu schützen und zu hüten?
Wir brauchen gar nicht weit zu schauen, um die Auswirkungen z. B. von ?Freiheit? (oder auch ??liberalismus?)auf allen Ebenen als dominierende Prämisse (anstelle von Verantwortlichkeit) zu erkennen. Der Satz ?die Freiheit des Einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt? ist ein geflügeltes Wort, in aller Munde, und es kommt einem oft so vor, als herrsche in breiten Kreisen selbstzufriedener Konsens darüber, dass dies, was Freiheit betrifft, so etwas wie der ?Weisheit letzter Schluss? sei. Genauer besehen jedoch kann sich diese Aussage als vernichtend herausstellen, suggeriert sie doch unter Umständen blinden Egoismus und eine Haltung des aneinander uninteressierten ?laisser faire? als menschlichen ?Wert?.
Natürlich muss dem Menschen auch Freiheit zugestanden werden! Wir sollen unseren Raum bekommen, um zu experimentieren, um Möglichkeiten auszuschöpfen und sollen diesen auch anderen lassen ? ja, auch dann, wenn wir meinen, es ?besser zu wissen?! Keinesfalls wollen wir hier einer ?Kontrolle? das Wort reden, welche unter dem Mantel eines kurzsichtigen, vermeintlich ?schützenden Wohlwollens? des Menschen Recht aufs Ausschöpfen seines ganz persönlichen Erfahrungsspektrums zu beschneiden sucht! Jedoch sind wir gleichzeitig aufgerufen, mit liebevoller Fürsorglichkeit für gemeinschaftliche Bedingungen zu sorgen, unter welchen die Entfaltung der menschlichen Möglichkeiten in einem für die Kollektivität gesunden und gesegneten Rahmen bleiben können. Denn wir kommen nicht darum herum, wollen wir wirkliche Entfaltung auch als Einzelne erfahren, uns a priori auch als (globale!) Menschengemeinschaft zu sehen und zu verstehen, uns als solche umeinander fürsorglich zu kümmern, (auch) einander Hirten zu sein! Und insofern hat der Satz vom Ende der Freiheit des einen dort, wo die Freiheit des anderen begänne ein Kernchen Wahrheit in sich, nur: Freiheit a priori als Loslösung und Abgrenzung, als reinen Individualismus verstanden anstatt als Öffnung für alles Vorhandene, Zugänglichmachen alles Wertvollen und begleitete durch in Weisheit gründendes, sorgendes Wirken kann nichts anderes als ins Verderben, in persönliche Einsamkeit und in die umfassende Zerstörung führen.
1400 Jahre nach unserem Propheten Muhammad ? Friede und Segen Gottes sei auf ihm ? drückt es der Philosoph Martin Heidegger so aus: "der Mensch ist nicht der Herr des Seienden. Der Mensch ist der Hirte des Seins". Und er "büsse er in diesem 'Weniger' nichts ein" sondern "gewinne", im Gegenteil, "die wesenhafte Anmut des Hirten, dessen Würde darin beruht, vom Sein selbst in die Wahrnis seiner Wahrheit gerufen zu sein".
In seiner oft sehr blumigen mit eigenen Wortkreationen versehenen Sprache will M. Heidegger einen ?Humanismus? widerlegen, der den Menschen auf ein ?animal rationale? (ein ?vernunftbegabtes Tier?) zu reduzieren sucht, ohne seine Herkunft aus und seinen Bezug zum Göttlichen sowie seine Verantwortung sowohl in diesem Kontext als auch in Bezug auf die Menschengemeinschaft zu berücksichtigen . Die ?Sorge? eines ?wirklichen Humanismus? müsse ?in die Richtung gehen, den Menschen wieder in sein Wesen zurückzubringen? ? erst dann und wenn sein Menschsein auch als ?gesellschaftliches Menschsein? verstanden werde, kann man von ?Humanismus? sprechen ? ansonsten der Mensch ?endgültig in den Wesensbereich der Animalitas verstossen bleibt?.*)**)
Es ist von grosser Wichtigkeit in der heutigen Zeit solche Differenzierungen und Enthüllungen von ?Schlagworten? vorzunehmen. Wir haben essentiell wichtige Voraussetzungen verloren: Das Leben in einem Gefühl einer aufeinander angewiesenen Menschengemeinschaft und das aktive, besorgte Sich ? Kümmern umeinander ist Bedingung fürs Gelingen unseres auch individuell verstandenen Menschseins: Unmöglich, Menschsein in Abgrenzung zueinander sowie in Loslösung von universeller Weisheit erfüllend zu realisieren.
Der Prophet Muhammad ? Friede sei auf ihm ? ist nicht müde geworden, den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit immer und überall hervorzuheben, wahres ?Hirtentum? vorzuleben. Ausserdem hat er gesagt: ?Ich bin für nichts anderes gesandt worden, als den Charakter zu vervollkommnen.?
Die Weisheiten des Islam sind ? richtig verstanden ? zeitlos. Und wir sollten uns beeilen, sie wieder lebendig werden zu lassen.
*)M. Heidegger ?über den Humanismus?
**) Gelesen während eines Aufenthaltes im Sudan, wo dieses ?Hirtentum? als gesellschaftliches Paradigma noch fest verankert ist und seinen Segen entfaltet obwohl es als allgemeines ?Muss? sozusagen vorausgesetzt und erwartet wird. Möge Gott diese Menschen segnen!