Mit ihrem Buch ?für ein besseres Miteinander? geht es Esther Fouzi um einen ?Insiderbericht? aus der Sicht eines ?gewöhnlichen Muslims, von Du zu Du, mit einer Terminologie, die auch von Menschen ohne Hochschulabschluss verstanden wird?. Ein Buch, das ?Ängste abbauen, Verständnis fördern sowie zum Nachdenken anregen? will, das ?nicht den Anspruch erhebt, für alle Muslime zu sprechen?, hingegen der Herausforderung entspricht, mit der wir uns täglich konfrontiert sehen, ?Antworten auf Fragen zu geben, die man muslimischen Nachbarn, Bekannten oder Freunden stellen möchte?.
SAW: Esther Fouzi, ich freue mich, mit Ihnen dieses Gespräch führen zu dürfen. Sie bieten mit Ihrem Buch eine im Ansatz sehr persönlich gehaltene Begegnung auf Augenhöhe, schreiben explizit aus Ihrer persönlichen Sicht. Welche Resonanz haben Sie bis anhin bekommen?
Esther Fouzi: Von denen, die es gelesen haben - meist Muslime - habe ich nur positive Reaktionen bekommen. Gerade das Persönliche hat gefallen. Was anfangs etwas irritieren könnte, ist die ?volksnahe? Sprache im Vergleich mit anderen Schriftstellern. Die Botschaft kommt so aber unmittelbarer an. Ich habe oft gehört "in weiten Teilen haben Sie mir aus dem Herzen gesprochen". Gefallen hat vor allem, dass keine "Besserwisserei" herüberkommt und dass Missstände auf beiden ?Seiten? angesprochen werden.
SAW: Sie nennen den ?übermächtigen Drang, auf die falschen Anschuldigungen Antworten zu finden? als Motivator zum Schreiben. In Ihrem Buch sind Sie nach einer Darstellung Ihres persönlichen Werdegangs, auf Glaubens/ Aqida- fragen sowie auf Rechtsfragen (?Scharia?/Fiqh) eingegangen. Das Thema Integration, das Frauenthema, die Unterstellung der ?Gewalt und des ?Terrors im Islam? ? nichts haben Sie ausgespart. Auf welche Weisen können wir uns als Einzelpersonen für diesen anspruchsvollen Dialog ?rüsten??
Esther Fouzi: Wichtig ist sicher der persönliche Kontakt und Austausch. Können wir uns als Nachbarn, Freunde, Vereins- und Berufskollegen begegnen, ist schon vieles an Vorurteilen darüber entkräftet, wie "DER" Muslim ist, denn dann sieht man den Menschen dahinter. Mir kommt vor, es ist das A und das O, dass man sich nicht zurückzieht, Einladungen folgt, auch z. B. bei interreligiösen Veranstaltungen. Und wenn wir von "Rüsten" sprechen, ist es natürlich unablässig, sich über seine Religion Wissen anzueignen, um Antworten zu geben können. Wir sind, ob wir wollen oder nicht, "repräsentativ" für den Islam und werden als Muslime allesamt als "Experten" gesehen, obwohl wir das nicht sind - aber wir sind Ansprechpartner im Alltag.Viele Fragen seitens der Nichtmuslime betreffen ja Belange, die uns selbst beschäftigen, auf die wir für uns selbst Antworten finden sollten.
SAW: Als Minderheit in der pluralistischen Gesellschaft ist also vor allem unsere Sozialkompetenz gefragt, sowie gewisse Kenntnis religiöser Inhalte. Unser politischer Handlungsspielraum bleibt - durchaus auch aus islamischer Perspektive ? auf den Rahmen und die Bedingungen der Mehrheitsgesellschaft beschränkt. Die Praxis der allermeisten Muslime im Land zeugt von ebensolcher Sichtweise. Warum wird dennoch alles, was mit Islam zu tun hat, auf die politische Bühne gezerrt, warum will man uns ? im Gegensatz zu anderen Religionen ? sogar in religiösen Belangen hineinreden?
Esther Fouzi:Ich könnte mir schon vorstellen, dass das eine "sicherheitspolitische Dimension" hat ? insofern, als die Anschläge gewisser Muslime doch in die Gesellschaft eingreifen. Man versucht dann über politischem Weg, das Recht zu gewährleisten, Sicherheit zu schaffen. Solche aufrüttelnde Vorfälle sickern ins Bild über den Islam, den man als teilweise gewalttätige Religion wahrnimmt, die man dann durch politische Mittel "zurückstutzen" möchte, sodass man sich wieder sicher fühlen kann. Die Diskussionen über Kopftücher, Burkas, Minarette sind eigentlich Stellvertreterdiskussionen. Man befürchtet, dass die Muslime doch noch eines Tages "ihren Staat" verlangen und bekommen können - und die Scharia ist ja so, wie sie gegenwärtig politisch und strafrechtlich umgesetzt wird, oft eine einzige Abschreckung, Gerechtigkeit und Menschenrechte werden nicht beachtet. Ich glaube, die Leute haben einfach Angst. Angst, dass, wenn die Muslime sich vermehren, es irgendwann "kippt". Ich sehe das eigentlich als eine sehr weit hergeholte Angst - aber Angst ist ja nie rational. Dazu spielt auch die Verteidigung eigener Wertvorstellungen eine Rolle, die man schützen will. Ausserdem wird wahrscheinlich einiges aufgebauscht, damit gewisse Parteien und Politiker sich profilieren können, als solche, die die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, sie zu schützen und aktiv zu handeln verstehen, wobei man sich natürlich fragen kann, wieweit z. B. ein Kopftuch - Burka - oder Minarettverbot (in der Schweiz) hier hilfreich ist - es wird ja auch explizit gesagt, man wolle "Zeichen setzen". Vieles ist also ?symbolisch? - bedeutet andererseits doch einen Eingriff in die Religionsfreiheit der Muslime und ist diskriminierend.
SAW: In Ihrem Buch kann man durchaus auch Kritik an den Muslimen lesen. Inwiefern sehen Sie in der gegenwärtigen herausfordernden Situation für uns auch Vorteile im Sinne einer möglichen Belebung unseres Din(Religion)?
Esther Fouzi:Ich sehe hier eigentlich wirklich viel an Potential. Wir werden wachgerüttelt durch Anschuldigungen - das ist im Moment nicht angenehm, zwingt uns aber, uns mit der eigenen Religion und Religiosität auseinanderzusetzen. Zwingt uns Vergleiche zu ziehen, zwischen Glauben und Gebräuchen hier und dort, zwingt, Traditionen zu hinterfragen und sich so auf die Quellen zu besinnen und zu versuchen, das Leben bewusster zu gestalten. Ich sehe es als Chance, schädliche Gebräuche und Gewohnheiten ein- für allemal abzuschaffen. Es liegt an uns, etwas daraus zu machen.
SAW: Sie wünschen sich (S 168) ein ?Neudurchdenken? auf der Ebene des Fiqh, ein ?neues Schöpfen? aus den alten Quellen ? vor allem auf Basis des heiligen Qur?an. Man kann in Ihrem Buch eine gewisse Skepsis gegenüber traditionell erarbeiteten, ? auch über Jahrhunderte bewährtem - lesen, vor allem auch der Auslegung der Sunna - bis hin zu den anerkannten 4 sunnitischen Rechtsschulen. Sehen Sie in solchem Vorgehen nicht die Gefahr der völligen Beliebigkeit eines ?erneuerten Islam?, aufgrund der Tatsache des gegenwärtig weltweiten Fehlens einer gesunden, umfassend gelebten islamischen Praxis? An welchen Parametern sollte gemessen, ?aussortiert? werden, auf welchem Boden sollten wir bauen?
Esther Fouzi:Erstens: Meine Kritik richtet sich an das, was im Argen liegt, nicht an das, was sich bewährt hat. Als Grundlage wäre unbedingt diejenige der Gottesfurcht zu nennen als Voraussetzung für die nötige Sorgfalt und Verantwortlichkeit bei der ehrlichen Suche nach Verständnis der Gebote und dem Willen Allahs und ihrem Ziel dahinter sowie beim Erlass von sinnvollen Gesetzen. Man muss verschiedenen Sichtweisen besprechen und dies muss natürlich mit dem nötigen Hintergrundwissen getan werden, von Experten die sich in der Geschichte, in den islamischen Wissenschaften, im Fiqh auskennen, die aber auch bereit sind, Aktuelles zu überdenken und mit einzubeziehen. Die Gefahr der Beliebigkeit, muss ich sagen, war schon immer gegeben, seit 1400 Jahren, Einigkeit gab es auch unter den ersten Muslimen nicht, es haben sich gewisse Denkweisen durchgesetzt. Ich habe ja auch die Begründer der Rechtsschulen zitiert, die selbst sagten, man solle ihnen nur dann "folgen" wenn man ihre Urteilsfindung nachvollziehen und gutheissen kann ? auch sie haben die Leute davor gewarnt, Urteile unhinterfragt zu übernehmen. Ich denke, das ist irgendwann verlorengegangen. Man sagt heute einfach, die Rechtsschule sagt das und das und keiner weiss mehr, wie denn die Vertreter der Schule zu ihren Schlüssen gekommen sind. Es fühlt sich manchmal an, als ob uns Einzelnen die Religion ein Stück weit weggenommen worden wäre und dann verändert zurückgegeben wird. Ich denke, es muss auch für Laien möglich sein, nachvollziehen zu können, wie man zu Schlüssen gelangt ist und im Recht, gerade im Strafrecht finde ich es wichtig, die aktuellen Möglichkeiten und Gegebenheiten mit einzubeziehen sowie allgemein offener für die Notwendigkeit zu werden, Antworten auf Fragen unserer Zeit zu finden. Antworten auf anspruchsvollere, drängendere Fragen, als ob Donald Duck gesehen werden darf - weil er keine Unterhosen anhat, oder wie blickdicht die Strümpfe der Frau (beim Gebet) sein sollen.
SAW: Es wird uns Muslimen immer wieder eine "regressive Haltung" vorgeworfen. Wie sollen wir vorgehen, um den vielschichtigen Anforderungen der Zeit zu entsprechen, den ?Faden neu aufnehmen? ohne gleichzeitig altbewährtes achtlos über Bord zu werfen?
Esther Fouzi: Es ist schwierig, als Einzelperson hierauf eine Antwort zu finden. Auf jeden Fall die Leitsätze des Qur´an im Auge behalten. Da geht es um das Wohl der Gemeinschaft, dann geht es um Verwirklichung von Gerechtigkeit, es geht darum, dass der Mensch durch das Recht einen Rahmen bekommt innerhalb dessen er sich seines Lebens sicher fühlen, planen, sein religiöses Leben führen kann. Die Leitsätze von Gottesfurcht, Verantwortung als "Khalifen" umsetzen, das Wohl der Schöpfung sowie das Wohlgefallen des Schöpfers im Auge behalten.
SAW: Würden Sie zustimmen, dass unsere gegenwärtige (muslimische) Ausgangslage ? sei es als Minderheit in nichtmuslimischer Umgebung oder auch als ?muslimischer Staat? innerhalb einer säkular und kapitalistisch gelenkten Welt ? eine in dieser Form erstmalig erlebte - Ausnahmesituation darstellt, würden auch Sie sich mehr Schutz unserer muslimischen Inhalte und Werte seitens der Machthaber in der muslimischen Welt wünschen?
Esther Fouzi:Das habe ich mir ehrlich gesagt noch nicht so genau überlegt. Die Muslime haben jedenfalls geschlafen und dadurch sind sie überrumpelt worden. Die Kolonialisation hat sicher tiefe Spuren hinterlassen, das Selbstwertgefühl war im Keller. Man hat versucht, sich mit einer neuen Religiosität wieder eine Identität zu verschaffen. Aber so, wie der Islam seither in diesen Ländern umgesetzt wird, kann man da von Schutz nur noch träumen. Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, ist es doch so, dass man in den islamischen Ländern auch als Muslim am wenigsten Schutz hat, in unseren westlichen Staaten am meisten. Warum flüchten so viele Muslime aus ihren Ländern nach Europa. Das ist für mich die Ausnahmesituation, dass wir sogenannte muslimische Länder haben mit korrupten, diktatorischen Machthabern und dass man auf der anderen anderen Seite Länder hat, die sich zwar explizit zum Säkularismus bekennen, wo es einem als Muslim aber besser geht. Ich habe allgemein das Gefühl, die Muslime fühlen sich gegenüber der westlichen Welt zu oft in der Opferrolle und vergessen dabei, was ihnen ihre eigenen Leute, ihre Elite, ihre Machthaber antun. Ein grosses Problem ist sicher der menschliche Faktor an und für sich und in vielen muslimischen Ländern ist ein befremdlicher "Islam" entstanden, einer, der nicht dem entspricht, was man sich als Muslim erhoffen würde, sondern eine von willkürlichen Machtstrukturen gelenkte Ordnung, der man sich wohl oder übel fügen muss - ich denke, es gibt derzeit auf der ganzen Welt keinen "islamischen Staat", der diesen Namen verdient.
SAW: Das grosse Thema und Politikum Integration: Obwohl, wie Sie einleuchtend darstellen, Muslime sich aus subjektiver Sicht meist ausreichend integriert fühlen, sieht die Mehrheitsgesellschaft ?enormen Handlungsbedarf?. Ghettoisierung wird uns vorgeworfen, zu wenig Engagement in der Gesellschaft sowie in der Erziehung eigener Kinder. Besteht hier wirklich ein Defizit und wie kann diesem Appell entsprochen werden?
Esther Fouzi: Ich habe im Buch darüber geschrieben, dass ich hier ein Defizit empfinde und gewisse Vorwürfe teilweise nachempfinden kann, in der Tendenz bestätigen muss. Ghettoisierung, wie sie zum Beispiel in Frankreich, auch in England existiert, gibt es in der Schweiz nicht. Es könnte dazu kommen, wenn es mehr Verbote und Restriktionen gibt und sich die Muslime daraufhin zurückziehen. Das,was die zweite und dritte Generation der Einwanderer tut, sehe ich aber grundsätzlich als Entsprechung auf den Appell. Es findet gegenwärtig eine Art automatischer Wechsel in einen anderen Modus statt, die zweite, sowieso die dritte Generation ist bereits derart eingegliedert, dass "Integration" gar kein Thema mehr ist. Woran manche Erwachsenen der ersten Generation noch arbeiten könnten, wäre die Sprache, die sie dazu in die Lage versetzen würde, sich in Vereinen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten zu engagieren, Nachbarn und Bekannte einzuladen. Meistens sind jene, die die Sprache sprechen, schon im Berufsleben integriert, während jene, die mehr Zeit für soziales Engagement hätten, die Sprache nicht sprechen. Aber die Zeit arbeitet für sich...
SAW: Sie arbeiten seit einigen Jahren als Religionslehrerin für Kinder und Jugendliche. Wie gehen junge Muslime mit der multiplen Herausforderung verschiedenen (Kultur-) Hintergrunds um, der sie in Schule, Familie, Freundeskreis ausgesetzt sind?
Esther Fouzi:Ich denke, dass das stark von der Erziehung abhängt, die sie zu Hause genossen haben. Es kommt oft auch auf den Stellenwert an, den die religiöse Erziehung, die Befolgung von Geboten einnimmt - dort wo letztere etwas lockerer genommen wird, auch wenn das Herz dran hängt, ergeben sich weniger Probleme mit Klassenlagern, Schwimmunterricht etc. Bestimmt spielt auch die soziale Offenheit der Familie nach aussen eine Rolle. Ich habe es noch nie erlebt, dass einer meiner Schüler zu mir kam und mir sagte, Frau Fouzi, ich habe ein Problem...Ich denke, sie schaffen es - als Chamäleon oder indem sie sich durchsetzen und auf ihrem Recht beharren.
SAW: Der ?traurige Alltag? mancher Frauen ist leider (immer noch) Tatsache, Sie sprechen es an. Könnten Sie sich vorstellen, dass sich die Situation für Frauen allgemein im Vergleich zu früher sowohl durch zunehmenden politischen und ökonomischen Druck als auch durch ein damit einhergehendes, islamfremdes und sehr einseitiges Weiblichkeitsverständnis eher verschlimmert hat ? auch aber nicht nur für muslimische Frauen?
Esther Fouzi: Grundsätzlich, denke ich, hat sich die Situation für Frauen nicht verschlechtert sondern verbessert und zwar weltweit. Was in den westlichen Ländern passiert, wird auch - nicht zuletzt durch die Globalisierung - in den islamischen Ländern wahrgenommen. Das Leben, das man bisher geführt hat, die Rechte, die einem zugestanden werden, werden hinterfragt, und es wird nach "etwas mehr" davon verlangt. Man kann sich vorstellen, dass auch ein anderer Lebensentwurf möglich wäre, was Frauen unter Umständen dazu antreibt, eine zufriedenstellendere Situation für sich anzustreben. Andererseits kann man nicht negieren, dass das Frauenbild vor allem in der Darstellung der Medien einseitig wäre. Wenn man sich aber in der Bevölkerung umhört, merkt man, dass diese Sichtweise höchstens im Teenageralter übernommen wird, später sucht und findet man eigene Wertmasstäbe. Wirtschaftlich wächst wohl der Druck auf die Frauen, die Familie zu unterstützen oder gar zu ernähren. Andererseits bekommen sie so die Möglichkeit, sich aus unbefriedigenden Beziehungen zu lösen. Es geht Hand in Hand: mehr Unabhängigkeit mit mehr Verpflichtungen, aufgrund äusserer Bedingungen oder entsprechend innerer Bedürfnisse - je nach Empfindung und und Gewichtung der einzelnen Frau. Die Entwicklung hat Vor - und Nachteile, ich würde sie nicht nur als negativ sehen.
SAW: Auch hier ein Potential, das dem Druck innewohnt?
Esther Fouzi: Auf jeden Fall. Ich weiss nicht, ob Frauen, trotz der steigenden Belastung wieder tauschen möchten, auch wenn sie teilweise die Rolle des Familienernährers übernehmen. Oder ob ihnen ihre Selbstbestimmung das wert ist. "Traurig" wird der Frauenalltag dann, wenn frau meint, als "gute (muslimische) Frau" vieles zu müssen, das Leiden geduldig ertragen zu müssen.
SAW: Sie sprechen von Ihrem Wunsch und der Hoffnung, dass die ?Utopie? eines die Gesellschaft durchdringenden ?Wir ? Gefühls? doch Wirklichkeit würde. Glauben Sie, dass hierzu gerade Frauenkompetenz gefragt wäre?
Esther Fouzi:Ich glaube durchaus, dass Frauen in der Lage sind, hier mitzuwirken, dass sie da am "richtigen Platz" wären, die Sache etwas vorwärtszubringen. Es soll aber nicht darum gehen, Männer an den Pranger zu stellen, Frauen als Opfer darzustellen. Auch Männer müssen am besseren "Wir - Gefühl" mitarbeiten, auch wenn Frauen besser dazu prädestiniert sind.
SAW: Sie nennen den Adab - den guten Umgang - als "einen der wichtigsten Faktoren des erfolgreichen Zusammenlebens" als "Schmiermittel im Getriebe des Miteinanders": das gute Benehmen. Was können wir tun, um diesen untereinander zu fördern?
Esther Fouzi: Vorbild sein, sich selber erziehen. Mitmenschen so behandeln, wie man sich wünscht, dass man selbst behandelt wird. Unnötige zornige Bemerkungen herunterschlucken, den Kindern Vorbild sein. Und das heisst Selbsterziehung. Auf die Sprache achten. Selbstkritik, bevor man mit Schuldzuweisung beginnt. Für andere auch Entschuldigungen finden, bevor sie von ihnen ausgesprochen werden, nachfragen, anstatt Übles zu unterstellen, offen auf einander zuzugehen. Auch die Gefühle ansprechen. "Ich habe das so und so empfunden". Ehrlichkeit mit anderen wie mit sich selbst. Nachsichtiger, barmherziger sein.
SAW: Wäre solches Verhalten auch in (vereins - ) politischem Kontext denkbar und wünschenswert?
Esther Fouzi: Natürlich. Aufeinander zugehen und nachfragen, warum macht ihr das so. Anstelle von Unterstellungen und Konsequenzen in Form von Verboten, Regelungen. Adab ist im Grunde genommen Rücksichtnahme auf die anderen. Das Gegenteil davon wäre Egoismus. Adab heisst, das Wohlbefinden anderer auch zu bedenken. Man kann über alles reden, auch über Politisches, Ideologisches.
SAW: Sehen Sie die Gefahr, dass angesichts der tiefschürfenden globalen Umwandlungen unser Din zum ?lifestyle? verkommen könnte, bestenfalls fürs Individuum identitätsstiftend wirksam bleibt, ("Schaum auf einer Wasserflut") oder führt eine immer enger werdende Spirale der Gewalt und der Restriktionen zunehmend zu Konfrontation, Eskalation, Krieg?
Esther Fouzi: Ich bin kein Prophet (lacht). Aber ich glaube, der Islam hat eine zu starke Kraft in sich, als dass er sich irgendwann "auflösen", zum lifestyle werden würde. Ich würde mir aber wünschen, dass er nicht so militant verstanden wird, wie er heutzutage verstanden wird, sondern dass man sich wieder auf die geistigen Werte, besinnt, und im weltlichen Bereich nicht versucht, etwas aufzuzwingen. Wenn eine Gemeinschaft entstehen soll, soll diese aus freien Individuen bestehen, die sich freiwillig zusammenschliessen, weil sie das gleiche Ziel haben. Und die auch verschiedene Ansichten auszuhalten vermögen. So eine Gemeinschaft würde ich mir wünschen. Was den islamischen Staat (nicht IS, sondern dieses Ideal, dem viele Muslime entgegenhoffen) betrifft, muss ich sagen, so wie die Menschen in ihrem gegenwärtigen"Sein ausgestattet" sind, wäre es wahrscheinlich besser, man hätte vorläufig weiterhin einen säkularen Staat mit Religionsfreiheit. Das mag ketzerisch klingen, aber überall, wo man Ansätze zu sogenannten "islamischen Staaten" gesehen hat, waren diese verbunden mit Repressalien, Freiheiten wurden beschnitten, Ungerechtigkeit nahm zu. Entgegen der islamischen Tradition werden in solchen "Staaten" auch Zugehörige anderer Religionen oft zu wenig geschützt, haben nichts mehr zu lachen....Da muss man sagen, nein, so lieber nicht. Ich glaube, der Mensch müsste sich da noch ziemlich entwickeln...Es wird immer verschiedene Ansichten geben, in Politik wie Religion. Nach allem, was wir in den letzten Jahren gesehen haben, muss man fast sagen, "um Himmels Willen, bitte keinen islamischen Staat", solange die Menschen nicht auf einem höheren Niveau sind; wir sind einfach noch nicht fähig, noch nicht reif dazu.
SAW: Frau Fauzi, ich danke sehr für das Gespräch. Alles Gute.